Rasant und Unwiderstehlich
Jennys Gesicht. Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich wieder, wie der eines sterbenden Goldfischs, und ihr war deutlich anzusehen, wie sie sich mühte, dahinterzukommen, woher Tinsley ihr Bild von dem Scheunenbrand kannte. Tja, Tinsley und sie hatten wirklich Glück gehabt. Ihr Plan war der gewesen, dass Chloe den Dekan von Jennys Schuld überzeugen sollte. Doch nachdem Marymount beschlossen hatte, die Entscheidung seinen Schäfchen selbst zu überlassen, war es ein Segen, dass Jenny dumm genug gewesen war, etwas so Belastendes zu tun – und dass Chloe es mitbekommen hatte. Die eifrige Kleine hatte ihnen gestern Abend auf der Party davon erzählt. Auch wenn Callie ein klitzekleines bisschen Mitleid für Jenny empfand, warum hatte die denn so ein Bild gemalt, wenn sie damit nicht unterbewusst zugeben wollte, das Feuer gelegt zu haben?
Jennys Gesicht war ungesund fahl geworden, was Callie an die Biologiestunde in der Zehnten erinnerte, als sie einen Frosch hatten sezieren müssen. Bretts Gesicht hatte genau die gleiche Farbe angenommen und dann hatte sie über den ganzen Tisch gekotzt.
»Du meine Güte, das war doch nur eine Zeichnung «, warf Alison plötzlich ein und beugte sich in ihrem Stuhl vor. Sie wirkte etwas verunsichert, weil sie es wagte, sich mit Tinsley anzulegen, trotzdem hielt sie mit Jenny Augenkontakt, deren Gesichtsfarbe zu einem gesünder und normaler wirkenden Pinkton zurückgekehrt war.
»Was … äh… war das für eine Zeichnung?« Benny Cunningham sah von Tinsley zu Jenny, unsicher, auf wessen Seite sie sich schlagen sollte. Schließlich richtete sie den Blick auf Tinsley.
Tinsley verschränkte die Arme. Sie sah aus, als habe sie auf genau diese Frage gewartet. »Ach, nur eine ziemlich genaue Skizze von der Scheune, wie sie gerade abbrennt. Mit zwei Leuten darin, die sich küssen«, sagte sie lässig und ließ die Worte im Raum stehen.
Callie zog geräuschvoll die Luft ein und hoffte, dass sie angemessen schockiert aussah – und sich auch so anhörte. Sie hatte sich nie für eine große Schauspielerin gehalten, aber das hier war möglicherweise die wichtigste Vorstellung ihres Lebens.
»Wer waren die zwei Leute?«, fragte Easy, der eindeutig verärgert war. Callie starrte stumm auf den langen Kratzer in der Tischoberfläche. Hatte hier jemand so verzweifelt versucht, dem Dekan etwas klarzumachen, dass er sich in den Tisch gekrallt hatte?
»Das hast du gefragt«, näselte Tinsley, stützte die Handflächen auf den Tisch und erhob sich in ihrem smaragdgrünen Kleid, das sich elegant um ihre schlanke, perfekte Figur schmiegte. Sie beugte sich drohend vor und sah so echt nach einer Anwältin aus, dass sogar Easys Vater beeindruckt gewesen wäre. »Und Jenny wird dir darauf antworten.«
Callie meinte zu spüren, wie Easys schwelende Wut bis durch ihre Kleider drang. Ihre Zunge fühlte sich schwer an, als wäre sie ein kalter, nasser Schwamm, der ihr im Mund steckte, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie diejenige war, die gleich über den Tisch kotzen musste. Angesichts des wutentbrannten Easy fragte sie sich, ob die ganze Sache das wert war, aber jetzt war sie schon zu weit gegangen, um einen Rückzieher zu machen.
Jenny hatte endlich ihre Stimme wiedergefunden. »Woher weißt du überhaupt von dem Bild?«, wollte sie von Tinsley wissen. »Hast du mich ausspioniert ?« Sie legte so viel Bissigkeit in ihre Worte wie möglich, trotzdem fürchtete sie sich nach wie vor etwas vor Tinsley. Dachten denn alle, nur weil sie ein Bild von dem Feuer gezeichnet hatte, hatte sie das Feuer auch gelegt? Das war doch hirnrissig. Genauso hirnrissig wie die ganze Veranstaltung hier.
»Leugnest du es?« Tinsley schritt vor dem Fenster auf und ab wie eine Staatsanwältin in einer Fernsehserie. Jenny ahnte, dass sie auf diesen Moment gewartet hatte – vielleicht schon seit dem Tag, an dem sie in ihren hochhackigen Fendi-Stiefeln wieder den Fuß auf den Campus gesetzt und Jenny in ihrem Bett vorgefunden hatte. Tinsley hatte Jenny bereits gehasst, lange bevor es zwischen ihr und Julian zu knistern begonnen hatte, doch die Julian-Sache war es wohl, die das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
»Aber wie …« Jenny brach ab, um dieselbe Frage nicht zweimal zu stellen. Sie hatte das Gefühl, dass sich der Raum zu drehen begann wie etwas aus Charlie und die Schokoladenfabrik . Nur dass nicht Johnny Depp, sondern Tinsley Carmichael die Fäden zog. Ihr fiel keine Erklärung und nichts ein, was
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