Rasheed, Leila
entzündete goldene Funken in seinen braunen Augen. »Sie sind ein intelligenter Mensch. Das ist offensichtlich. Sie könnten in der Gesellschaft etwas bewirken.« Er dämpfte diskret die Stimme. »Und doch verschwenden Sie Ihre Zeit und Ihre Intelligenz mit nichtigem Geschwätz, mit diesen … Nachtfaltern.« Er nickte zu Archie Ffoulkes und Perry Winchester hinüber, die sich beim Pianola amüsierten.
Sebastian gab ein leises, nachdenkliches »Hmmpf« von sich. Er drehte den Stiel des Champagnerglases in seinen Fingern, als dächte er über eine Erwiderung nach.
Olivers Herz schlug laut. Sie saßen so dicht nebeneinander auf dem Sofa. Und er steckte hier fest, ganz allein in der Küche, musste sich hinter einer Wand von Schicklichkeit verbergen.
»Die Gesellschaft. Ja. Aber ich verstehe mich nicht als Teil der Gesellschaft.«
»Ich meine nicht die vornehme Gesellschaft«, sagte Ravi verächtlich. »Ich meine die Menschen. Alle Menschen, überall.«
»Ich weiß. Aber ich gehöre trotzdem nicht dazu.«
Oliver lief ein Schauder über den Rücken. Er wusste, was Sebastian meinte. Er redete von der Liebe, für die sie verhaftet werden, deretwegen sich Freunde und Familie angeekelt von ihnen abwenden könnten. Er wusste, worum es ging. Er hatte seine Freunde und seine Familie bereits verloren, bald darauf seinen Namen und seine soziale Stellung.
»Wie können Sie das sagen? Sie sind schließlich ein Angehöriger der menschlichen Rasse.«
»Ich halte nicht viel von der menschlichen Rasse.« Sebastian sprach in einem leichten, witzigen Ton, doch Oliver hörte die Härte darunter.
»Wirklich? Was hat Sie zu einem solchen Zyniker werden lassen?«
Sebastian lächelte. »Verrat.«
»Wie dramatisch.«
»Eigentlich nicht. Wahrscheinlich erlebt jeder so etwas irgendwann. Man lernt, den Menschen nicht mehr zu trauen. Sich nicht mehr verletzen zu lassen.«
»Aber wenn Sie sich dem Schmerz verschließen, wie können Sie dann offen sein für …«
»Wofür?«
»Ich wollte für die Liebe sagen, möchte aber keinen falschen Eindruck erwecken.«
Sebastian lachte. »Da haben Sie nichts zu befürchten. Von der Liebe halte ich übrigens auch nicht viel. Ich glaube nicht daran.«
Oliver fuhr zurück, als hätte er einen Schlag versetzt bekommen. Was hatte er erwartet? Aber wie es schien, war sein Herz wohl nicht so vernünftig wie sein Kopf. Sein Herz hatte tatsächlich mehr erwartet.
»Ich habe früher auch nicht an die Liebe geglaubt«, sagte Ravi. »Auch Sie werden Ihre Meinung bestimmt noch ändern. Wie ich.«
Er stand unversehens auf und stellte sein Glas ab. Auch Sebastian erhob sich. Ravi streckte ihm die Hand hin.
»Es war interessant, mit Ihnen zu reden, Sebastian. Es war interessant, die englische Gesellschaft aus nächster Nähe betrachten zu können.«
Sebastian nahm seine Hand und schüttelte sie mit Nachdruck. »Müssen Sie wirklich schon gehen?«
»Ja. Ich habe noch einen Brief zu schreiben.«
Sebastian folgte ihm zur Tür. Oliver blieb in der Küche. Erst jetzt merkte er, dass er immer noch ein Glas und ein Geschirrtuch in der Hand hielt. Er legte beides so leise wie möglich ab.
Sebastian kehrte mit einem nachdenklichen und ziemlich traurigen Gesicht zurück.
»Oliver …«, setzte er an. Dann hielt er inne und schüttelte den Kopf. Stattdessen rief er laut zu seinen Freunden hinüber: »Kommt, lasst uns runter zum Fluss gehen, bevor die Sonne weg ist.«
Lachend und plaudernd verließen sie die Wohnung. Oliver stand in der Küche und hörte die Tür ins Schloss fallen. Er hörte ihre Stimmen auf der Treppe leiser werden und draußen auf der Straße wieder lauter. Er lief in den Salon und sah hinunter. Scherzend überquerte Sebastian Arm in Arm mit Perry den Kolleghof bis zu seinem Automobil. Die Wagentür schlug hinter ihnen zu, und es war Oliver, als hätte sie ihm aufs Herz geschlagen.
Sebastian kam in dieser Nacht nicht nach Hause. Oliver wusste das, weil er noch lange wach lag und auf ihn wartete, als längst klar war, dass er auf seine Rückkehr nicht mehr zu hoffen brauchte.
Ada folgte der Aufforderung des Dinner-Gongs und ging zum Speisesalon, als Rose aus dem Dienstbotendurchgang auf sie zueilte. Nach einem raschen Blick nach links und rechts in den leeren Korridor drückte sie Ada einen Umschlag in die Hand. Ada presste ihn fest an sich; sie brauchte nicht erst auf die Handschrift zu blicken, um zu wissen, dass Ravi auf ihren letzten Brief geantwortet hatte.
»Danke!«, flüsterte sie.
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