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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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Rose lächelte ihr kurz zu und war auch schon wieder verschwunden.
    Ada sah sich noch einmal um. Niemand kam. Da riss sie den Umschlag auf und las in aller Hast.
Meine liebe Ada,
ich habe mich so gefreut, als ich Ihren letzten Brief bekam mit der Versicherung, dass Sie mir nichts übelnehmen. Ich bewundere Sie mit jedem Tag, der vergeht, mehr. Manchmal wünsche ich mir, es wäre nicht so, weil es dann für mich einfacher wäre, hier zu sein, so weit von Ihnen entfernt.
Sie fragen mich nach Indien und werfen mir vor, ich sei ungerecht zu Männern wie Ihrem Vater, die hart gearbeitet haben, um die Lage dort zu verbessern. Ich leugne nicht, dass er viel getan hat, aber er hat es im Interesse der Briten getan. Wie können wir die Vertreter einer Besatzungsmacht, die Indiens Reichtümer zu ihrem eigenen Vorteil geplündert hat, als unsere Wohltäter betrachten?
Ich weiß, dass es für eine Patriotin schwer ist, die Taten des eigenen Landes als kriminell anzusehen, aber wenn zum Beispiel Frankreich in England einfiele, die Verwaltung übernähme, das Land regierte und seinen wirtschaftlichen Reichtum zum Ruhme des französischen Vaterlands abzweigte, wären Sie dann der Meinung, es hatte ein Recht dazu? Indien ist eine alte Nation, eine große Nation – genauso bedeutend wie Großbritannien. Queen Victoria selbst hat uns gleiche Rechte versprochen. Doch unter der britischen Herrschaft fließt der Reichtum aus dem Land, und die Inder bleiben in Armut und Hungersnot zurück. Curzon hat mit seiner Teilung Bengalens alles noch schlimmer gemacht.
Oxford hat mir auch die Augen für einiges Unangenehme geöffnet. Hier studieren die Söhne derer, die die Herrschaft über Indien innehaben und das Land verwalten. Ihre Söhne werden diese Positionen einmal übernehmen. Manche widmen sich ihrem Studium mit großem Ernst, viele andere nicht. Viele haben nur Interesse am Vergnügen und der Dekadenz. Sie sind nicht aus eigenem Verdienst hier, sondern weil ihre Geburt und ihr Reichtum es ihnen erlauben. Aber dennoch werden sie einmal viel politische Macht besitzen und über die Geschicke meines Volkes entscheiden – nur deshalb, weil sie die Söhne ihrer Väter sind. Das ist einfach ungerecht. Ich kann sie nicht respektieren. Welches Recht haben sie, über uns zu herrschen?
Aber langsam ändern sich die Dinge. Der Indische Nationalkongress hat endlich Hindus und Moslems gegen die Briten vereint. Noch aus seiner Gefängniszelle in Burma sorgt Tilak dafür, dass seine Stimme gehört wird. Das macht mir Hoffnung. Die Versammlungen, an denen ich teilgenommen habe, haben mir Mut gemacht, und ich habe das Gefühl, ich bin Teil einer großen, umwälzenden Kraft. Wir werden Indien von der britischen Herrschaft befreien, auf die eine oder andere Weise.
Ich weiß, Ihr eigener Gerechtigkeitssinn ist so stark, dass Sie meine Sicht der Dinge letztlich teilen werden. Jetzt aber muss ich diesen Brief beenden, damit er die Post noch erreicht. Ich wünschte, ich könnte Sie sehen und von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen sprechen. Aber vielleicht sage ich lieber nichts mehr.
Für immer treu der Ihre,
Ravi
    Ada fuhr zusammen, als sie am Ende des Korridors Schritte hörte. William kam auf sie zu. Er sah mürrischer aus denn je, als er grußlos an ihr vorbeiging. Sie schob den Brief hastig in den Ärmel und folgte ihm zum Speisesalon. Ravis Brief hatte sie schockiert, das war nicht zu leugnen. Sich in solchen Tönen über das Empire zu äußern war fast schon aufwieglerisch. Er hatte ihren Vater mehr oder weniger direkt als Kriminellen beschimpft! Der Vergleich mit Frankreich klang erst überzeugend … aber die Lage in Indien war doch ganz anders. Indien war kein gut organisiertes, friedliches Land wie Großbritannien. Es brauchte doch eine fähige Verwaltung, Leute, die vernünftig denken konnten, Leute, die Hindus und Moslems davon abhielten, sich gegenseitig umzubringen. Was Ravi da geäußert hatte, erschreckte sie.
    Sie eilte in den Salon und nahm ihren Platz am Tisch ein, zwischen Michael und Edith. Dabei fing sie einen vielsagenden Blick zwischen Charlotte und Fiona auf.
    Was war denn nun schon wieder? Sie grübelte, während der Lakai den Hummer herumreichte. Ihre Besorgnis war geweckt. Sie wünschte, Sebastian wäre nicht nach Oxford zurückgekehrt; er hätte ihr sicher eine Erklärung geben können. Aber sein Platz blieb leer, ebenso Georgianas, die nach ihrem Sturz das Bett hüten musste. Sie warf einen Blick zu ihrem Vater hinüber. Vielleicht

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