Rashminder Tage 01 (German Edition)
immer du etwas siehst oder hörst, was zu der ganzen Angelegenheit gehört.“ Torgen berührte ihn leicht an der Stirn. Eryk brauchte seine ganze Kraft, um den alten Mann nicht zusammenzuschlagen. Was erzählte der da für einen Unfug?
„Ich hab Hunger“, stammelte er und verstand sich selbst nicht mehr. „Lass uns morgen noch mal darüber reden. Ich … ich bin müde. Kaiden, lass uns gehen, wir müssen morgen wieder in den Schnee, und …“
Er spürte Magie, einen kurzen Stich im Kopf. Ein Damm brach in seinem Inneren. Explosionsartig fluteten Erinnerungen, Bilder, Stimmen und vor allem viel zu viele Gefühle sein Bewusstsein.
Keuchend fand Eryk sich am Boden, auf den Knien liegend, den Kopf mit beiden Händen umklammernd. Jemand berührte ihn, was er schreiend abwehrte. Ihr Götter, das durfte einfach nicht wahr sein!
Wimmernd kämpfte er darum, nicht in Tränen auszubrechen. Es war, als wollte er eine Sturzflut mit bloßen Händen aufhalten.
Und dann war Kaiden da und umarmte ihn. Eryk klammerte sich instinktiv an ihn, während er sich nahezu selbst erstickte im sinnlosen Versuch, noch irgendetwas kontrollieren zu können.
„Die Illusion greift“, hörte er Kaiden an seinem Ohr. „Lass es los, niemand außer mir und vielleicht Lark wird sehen oder hören, dass du weinst.“
Einen Moment später schrie Eryk vor Wut und Elend, schluchzte, nein, heulte seinen Schmerz hinaus, unfähig, irgendetwas zurückzuhalten. Das letzte Mal hatte er so in seiner ersten Nacht auf der Straße geweint, als er vor seiner eigenen Mutter fliehen musste, um nicht an ein Bordell verschachert zu werden. Da war er eine fünfjährige Rotznase gewesen …
Der Anfall währte kaum eine Minute. Wie betäubt hing Eryk in Kaidens Griff, innerlich leer und ausgewrungen. Kaiden wiegte ihn wie ein Kind, obwohl er vermutlich kaum Luft bekam bei der Gewalt, mit der Eryk sich an ihm festhielt. Als er schließlich aufblickte, starrten ihn alle an. Kurz vergewisserte er sich – ja, die Illusion hielt, die anderen sahen ihn zwar auf dem Boden sitzen, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, aber Kaiden schien sich ein Stück neben ihm zu befinden und ruhig mit ihm zu reden.
Eryk verstand die Natur dieser Magie mit einer Klarheit, die beinahe schmerzte. Um genau zu sein, verstand er plötzlich eine ganze Menge von diesem unheiligen Unfug, der ihm jahrelang mehr als suspekt gewesen war. Und ihr Götter, was er außerdem so alles verstand, hätte er am liebsten sofort wieder vergessen.
„Lass mich bitte los“, wisperte er und rückte von Kaiden ab, der sich nun tatsächlich eine Armlänge von ihm entfernte. Eryk wischte sich hastig das Gesicht trocken, bevor er den Blick hob, um seinen ehemals besten Freund anzusehen. Nathanael, beziehungsweise Natt, der gerade eben noch ein bedrohlicher Fremder gewesen war.
„Verdammt lange her, hm?“, sagte er. Die Verachtung in Natts Augen fraß ihn regelrecht auf.
„Kaiden, wir befinden uns hier mitnichten in Larks Wohnhaus.“ Eryk versuchte aufzustehen, aber so viel Kontrolle hatte er noch nicht. Er fühlte sich, als wäre er stundenlang verprügelt worden. Beinahe wünschte er, es wäre so.
„Willkommen im Hauptquartier der K.R.A.F.T.“ Lark zog Kaiden auf die Füße, zwang ihn, sich auf einen Stuhl zu setzen und wiederholte den Akt dann mit Eryk.
Kaidens Gesicht spiegelte vollständige Verwirrung.
„Offiziell heißt das hier K.R.R.F.“, murmelte Eryk. „ Königliche Ritter für Recht und Freiheit . Sie bevorzugen allerdings die Bezeichnung Königlich-Rashminder-Freiwilligentruppe . Eine Geheimorganisation, die sich um alles das kümmert, was die Stadtgarde nicht geregelt bekommt.“
Kaiden öffnete den Mund, zweifellos, um eine Myriade Fragen gleichzeitig zu stellen, fand keinen Anfang und schloss den Mund wieder, sprachlos wie selten.
„Na los, erzähl deine Geschichte“, forderte Natt aggressiv. „Sag uns, warum du abgehauen bist, du elender Feigling!“
Eryk zuckte zusammen, doch er konnte ihn verstehen. All der Schmerz, der jahrelang unterdrückt worden war, brannte in ihm. All die Schuld …
„Das da ist Nathanael“, sagte er matt zu Kaiden. „Wir sind zusammen auf der Straße aufgewachsen, bis wir es gemeinsam geschafft haben, auf der Gardistenschule aufgenommen zu werden. Ich war sechzehn und er neunzehn, als wir von Lark abgeworben wurden. Lark dem Kleineren, meine ich. Er war damals Stellvertreter seines großen Bruders, der die K.R.A.F.T. einige Jahre zuvor ins Leben
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