Rashminder Tage 02 (German Edition)
trotzdem genug Raum ließ, um sich nicht gefangen zu fühlen.
„Zum einen brauche ich deinen Rat. Ich habe Pocils Mine sorgsam studiert, nachdem du von dort geflohen warst, denn schon seit vielen Jahren ist sie besonders ertragreich und verzeichnet die geringsten tödlichen Unfälle unter den Sklaven. Ein intensives Gespräch mit Mattin – du erinnerst dich zweifellos – war dabei sehr erhellend.“
Oh ja, Lys erinnerte sich an den Sklavenaufseher. Dieser schmierige Kerl hatte es ganz besonders auf Kirian abgesehen gehabt, und auch ihn, Lys, mit Vorliebe gequält.
„Mattin berichtete, dass Pocil die Sklaven zur Eigenverantwortung anregt. Dass überhaupt keine Sklavenaufseher mit in die Schächte hinabsteigen und Pocil ihnen freie Hand bei den Sicherungsmaßnahmen lässt.“
„Das stimmt. Arkin, einer der erfahrensten Minensklaven, führt seit Jahren die Aufsicht unter Tage und lässt mit höchster Gewissenhaftigkeit die Decken abstützen. Diese Stützbalken werden ständig geprüft und ausgetauscht, gleichgültig, wie viel Holz das kostet. Das Sickerwasser wird über Extrastollen abgeleitet, und gegen die Sandschwemme sind überall Netze gespannt. Jeder Arbeiter nimmt Ratten in Käfige mit sich, um eine Möglichkeit auf Vorwarnung zu haben, falls sich plötzlich giftige Dämpfe entwickeln. Die Arbeiter passen gegenseitig auf, dass gute Leistung gebracht wird, ohne dass sich jemand dabei zu Tode schuftet oder auf Kosten der anderen faulenzt.“
„So hat Mattin es mir ebenfalls erzählt, ja. Nun ist Arkin ziemlich alt, nicht wahr? Er hat sein ganzes Leben bei dieser einen Mine verbracht, ich will ihn nicht von dort wegholen, nur damit er sein Wissen weitergibt. Trotzdem möchte ich, dass etwas Ähnliches bei meinen anderen Minen umgesetzt werden soll. Ich hatte in den vergangenen Monaten etliche Stolleneinstürze und viele Tote als Folge von leichten Erdbeben. Verschont wurde ausschließlich Pocils Mine.“
Lys erschauderte, einen Moment lang musste er sich an der schmiedeeisernen Brüstung des Balkons festhalten. Er war gemeinsam mit Kirian verschüttet worden, sie hatten tagelang um ihr Leben kämpfen müssen. In der völligen Finsternis hatten sie zwar auch zueinander gefunden, was vorher unmöglich gewesen war; doch heute noch schreckte er immer wieder aus schweren Albträumen hoch, in denen er unter Tonnen von Gestein begraben wurde.
„Lys?“ Kumiens Griff verstärkte sich, die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Alles in Ordnung.“ Lys schüttelte sich leicht und atmete tief durch.
„Das Problem ist leicht zu lösen“, sagte er dann. „In dieser Mine gibt es etliche junge Leute, die mit Arkins Arbeitsweise aufgewachsen sind. Sie haben zumeist bereits Frauen und eigene Kinder. Bietet ihnen an, dass ihre Familien in Freiheit leben dürfen, wenn sie sich dafür fünf Jahre lang in anderen Minen verdingen und ihr Wissen über Stollensicherung weitergeben. Bezahlt den Familien einen Lebensunterhalt, siedelt sie in Dörfern in der weiteren Umgebung an und sorgt dafür, dass die Männer mindestens zwei Mal im Monat für je mindestens zwei Tage zu ihren Frauen gehen dürfen. Nach Ablauf der fünf Jahre sollen die Männer entscheiden können, ob sie sich für weitere fünf Jahre zu denselben Bedingungen verpflichten – Frauen und Kinder werden versorgt – oder ob sie als freie Männer versuchen, eine andere Arbeit aufzunehmen. Ich bin sehr sicher, dass viele von ihnen freiwillig in den Minen arbeiten wollen, solange ihre Körper das mitmachen.“
„Und das soll funktionieren?“, fragte Kumien skeptisch. „Wer sagt, dass sie nicht weglaufen und ihre Familien einfach im Stich lassen?“
„So etwas wird mit Sicherheit vorkommen, ja.“ Lys drehte sich um und stellte sich dem faszinierenden Blick aus hellen Augen. Kumien war ein Mann starker Kontraste, es fiel ihm erstaunlich schwer, seine Wut auf ihn aufrecht zu halten.
„Ja, es wird sie geben, denen es egal ist, was aus Frau und Kindern wird. Aber es werden wenige sein, denn wo sollen sie hin? Von was sollen sie leben in einem Land, in denen ihre Verhaltensweisen sie auf ewig als das kennzeichnen, was sie sind? Sie können über die Pässe in Nachbarländer fliehen, doch was sollen sie dort tun? Sie sind Minenarbeiter, sie haben gelernt Erz zu schürfen. Als Tagelöhner im Ausland werden sie nicht lange überleben. Nein, ich bin davon überzeugt, dass die meisten bleiben und alles tun werden, um ihren Kindern eine bessere
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