Rashminder Tage 02 (German Edition)
der ohne anzuklopfen in sein privates Heiligtum einzubrechen wagte. Hier, in seinem luxuriösen Stadthaus in der Ellermeile, einer der besseren Gegenden von Rashmind, kam kaum Besuch vorbei. Sein älterer Bruder Lark etwa würde sich hier niemals blicken lassen, wenn es nicht mindestens um Leben oder Tod der Königsfamilie ging. Seine übrigen Geschwister wussten nichts von diesem Haus. Sie glaubten, wie die meisten anderen auch, dass er in einem Zimmerchen in der Taverne seiner Schwester Vanda hauste. Tatsächlich hielt er sich dort häufig auf, da diese Taverne ein Sammelbecken der vielen Informationen war, die so fleißig für die K.R.A.F.T. sprudelten. Beinahe jeder glaubte, er würde sein Dasein ausschließlich der Unterstützung seiner Familie widmen. Sei es als Stellvertreter von Larks Geheimorganisation, sei es als Teilhaber von Vandas Taverne oder eben als offizielles Oberhaupt ihrer Sippe. Seine älteren Brüder waren bereits gestorben, abgesehen von Lark und Jaro dem Rothaarigen. Jaro hatte gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder, Jaro dem Blonden, auf verschiedenen Piratenschiffen angeheuert, bis er irgendwann sein verbliebenes Auge und die übrigen Gliedmaßen schonen wollte und sich als Hafenmeister auf den östlichen Farkinseln niedergelassen hatte. Lark hatte ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesprochen. Jaro weigerte sich, auf Briefe zu antworten oder sich in der alten Heimat blicken zu lassen. Vanda murmelte gelegentlich, dass es zu Jaros Bestem sei, mit allen Anzeichen von Hass. Zwar neigte Vanda dazu, jeden zu hassen, der ihr jemals auf die Füße getreten war, zudem war sie auf übelste Weise nachtragend und auch sonst ein Weib, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. In Jaros Fall allerdings schien es ziemlich ernst zu sein, und er tat gut daran, sich vor ihr zu verstecken. Lark d.G. überzeugte sich einmal jährlich davon, dass Jaro – den man mittlerweile vermutlich den Grauhaarigen nannte – noch lebte, damit Lark – der Kleinere – seine Familienunterlagen auf neuestem Stand halten konnte. Ihr Vater war ein Magier gewesen, der die Langlebigkeit seiner Art im Laufe eines Jahrhunderts genutzt hatte, um mit verschiedenen Frauen ganze Heerscharen von Nachkommen zu zeugen. Die etwas merkwürdige Methode der Namensgebung war schierer Zwang, der Tatsache geschuldet, dass man in Laymark weiterhin keine Familiennamen einführen wollte und es deshalb schwierig werden konnte, einen Menschen durch seinen Namen eindeutig zu identifizieren.
Lark der Größere war nach Jaro das älteste männliche Mitglied der Sippe. Da er allerdings ein geweihter Priester war, so wenig ihm das auch behagen mochte, durfte er kein Familienoberhaupt sein. Lark dem Kleineren oblag es daher, das Vermögen der Sippe zu verwalten, über Wohl und Wehe der verwitweten wie unverheirateten Frauen zu wachen und noch vieles mehr.
Wenn er sich hierher zurückzog, wollte er seine Ruhe haben. Selten genug, dass er einige wenige Stunden in Müßiggang verbringen durfte. Hier ließ er sich von seiner hervorragenden Köchin und seinem sehr diskreten, aufmerksamen Diener verwöhnen. Er konnte jederzeit ein heißes Bad in den eigenen vier Wänden genießen, seit er sich eine dieser lächerlich teuren Badewannen aus Porzellan importiert hatte – dafür hatte fast das gesamte Haus umgebaut werden müssen, nur um Wasserleitungen ziehen zu lassen. Er las Bücher aus purem Vergnügen, saß Pfeife rauchend vor seinem Kamin, ließ bezahlte Gesellschafterinnen kommen, die jegliches denkbare Bedürfnis erfüllten …
Sollte sich währenddessen eine nationale Krise entwickeln, die seine sofortige Rückkehr zum Gardistenkommando oder zum Hauptquartier der K.R.R.F. im Haus seines Bruders erforderte, schickte Lark ihm stets einen Boten.
Er liebte seinen Bruder ganz gewiss nicht, war ihm allerdings dankbar dafür, wie umsichtig dieser seine Privatsphäre akzeptierte und auch beschützte.
Wenn also jemand bei ihm eindrang, ohne vorher diskret anzuklopfen, kam dafür ausschließlich einer in Frage: Naxander.
„Lang ist es her“, sagte Lark über die Schulter, ohne sich umzudrehen, mit einer Lässigkeit, die er nicht fühlte.
„Viel zu lange, mein lieber Freund, in der Tat.“
Die Stimme klang fremd, zu hoch und gepresst für Naxander, doch der Tonfall gehörte unverkennbar dem Fürsten. Der mittelgroße Mann von etwa dreißig Jahren, der sich in Larks Blickfeld schob, sah Naxander so unähnlich wie nur möglich: Ein lächerlich
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