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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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sein künftiges Leben fußen sollte.
    Er lief hinunter zum Wasser und ging den Jungerfernstieg entlang, bis er eine ungestörte Stelle fand, um in Ruhe lesen zu können. Mit der Aussicht auf Drejø – dort hatte er die Ansicht gezeichnet, die Hinrichsen die Augen öffnete – schlug er Ingemanns Buch auf und begann, die Naturgeschichte der Luft zu studieren.
     
    Es vergingen einige Tage. Carl bemerkte keinerlei Veränderungen an seinem Vater, von Hinrichsen sah und hörte er nichts. Hatte der vielbeschäftigte erste Bürger der Stadt sein Versprechen vergessen?
    In seiner Fantasie hatte Carl manches Luftschloss gebaut. Sollte seine Zukunft nur in seiner eigenen kleinen Traumwelt versteckt bleiben? Oder musste er selbst etwas unternehmen?
    »Wieso hast du meine Zeichnung als Packpapier benutzt?«, wollte er von seinem Vater wissen.
    Er schlug den Blick nieder, als er fragte.
    Der Schneidermeister antwortete nicht, stattdessen blickte er auf seine Nadel.
    Da wusste Carl, dass Hinrichsen mit dem Vater gesprochen hatte.
    Am nächsten Sonntag wurde einer weniger aufgefordert, sich zum wöchentlichen Ritual aufzustellen.
    Carl sollte nie wieder die Kleiderbürste zu spüren bekommen.
     
W issen Sie, wo ein Neger am empfindlichsten ist, Rasmussen?« Kapitän Thomsen blickte von seinem Teller Erbsensuppe auf und schaute hinüber zu Carl, der wie gewöhnlich im Essen stocherte.
    »Sollte ich das wissen?«
    »Unser Steuermann hier weiß es. Außerdem ist er Christ und gewohnt, die andere Wange hinzuhalten. Stimmts, Ryberg? Du weißt es.«
    Der Steuermann nickte widerwillig.
    »Das Schienbein«, sagte er mürrisch. »Am empfindlichsten sind sie am Schienbein. Der Schädel ist viel zu dick. Die merken’s nicht, wenn man ihnen auf den Kopf schlägt.«
    »Jetzt wissen Sie’s, Rasmussen. Sie werden dieses Wissen kaum benötigen. Aber für einen Seemann ist es nützlich.«
    Sie hatten ihre Mahlzeit beendet. Der Schiffsjunge kam herein und räumte die Teller ab. Thomsen orderte Kaffee.
    »Tee für den Maler«, fügte er hinzu.
    Thomsen hatte die merkwürdige Angewohnheit, den größten Teil des Tages Strickzeug in den Händen zu halten und wie eine routinierte alte Frau mit rasender Geschwindigkeit die Stricknadeln klappern zu lassen. Er arbeitete stets an Wollstrümpfen. Selbst bezeichnete er sie als ›Müßiggangsocken‹ und behauptete, es handele sich um einen Brauch aus seiner Heimat, wo es nicht gern gesehen würde, wenn die Hände eines Mannes oder einer Frau untätig blieben. Er stammte aus Fanø, das in diesen Jahren mit Marstal darum wetteiferte, in welchem der beiden Häfen der größte Teil der dänischen Flotte registriert war, abgesehen von der Hauptstadt. Strickte er die Maschen der Spitze zusammen – eine Operation, die ihm besonders schwerfiel -, durfte er nicht gestört werden. Lautlos bewegten sich seine Lippen, wenn er die Maschen zählte. Doch normalerweise steuerten seine Hände die Nadeln selbstständig, egal ob er einen prüfenden Blick zur Wolkendecke schickte oder der Mannschaft befahl, die Segel zu reffen oder zu bergen. Bisweilen steckte er sich die Tonpfeife in den Mund, strickte dabei aber weiter.
    Thomsen holte die Müßiggangsocken heraus. Die Stricknadeln fingen an zu klappern. Er war gerade mit dem Bündchen fertig, das er nach der Methode zwei rechts, zwei links gestrickt hatte. Nun ging er zum Glattstricken über und die Nadeln schienen sich von allein zu bewegen, während sein Blick sich wieder auf Carl heftete.
    »Sie glauben mir vielleicht nicht, aber ich bin tatsächlich ein Freund der Schwarzen.«
    »Aha«, sagte Carl zurückhaltend. Ihm hatte der Ton zuvor nicht gefallen.
    »Ich habe mit ihnen gelebt. Als junger Mann bin ich im Linienverkehr zwischen Nantes und Guadeloupe unterwegs gewesen. In Guadeloupe ankerten wir oben im Korallenbecken. Vier Monate. Wir schliefen am Strand unter Palmen, zusammen mit den Negern. Sie liefen nackt herum.«
    »Nackt!«, stieß Ryberg hervor.
    »Spiel hier nicht den Entrüsteten, Ryberg. Ich habe die Geschichte schon mal erzählt.«
    »Der Kapitän hat nicht erzählt, dass sie nackt gewesen sind.«
    »Ja, sie waren nackt. Und ich auch. Wir waren eine große Familie. Sie kannten weder Häuser noch Geld und Eigentum – oder Kleidung. Die Kinder blieben immer bei der Mutter. Niemand wusste, wer der Vater war. Krankheit, Kälte, Untreue, Zank oder Streit – all das war ihnen vollkommen unbekannt. Jeden Morgen, wenn sie aufwachten, fassten sie sich bei den

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