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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Jahren erkannte Carl, dass es sein bestes Kinderporträt war. Er war inzwischen selbst Vater von acht Kindern, und bei jeder Geburt hatte er das Gemälde zur Hand genommen und eine Ähnlichkeit erkannt. Seine eigenen, noch ungeborenen Kinder hatte er in dem Porträt der Maliáraq vorhergesehen. Damals war er ein junger Mann gewesen, der sich in der Märchenwelt der Romantik bewegte. Er hatte die Eskimos zu Prinzen und Prinzessinnen umgedichtet und nicht daran gezweifelt, dass es sich tatsächlich so verhielt – Fabelkinder der Eiswüste im Pakt mit der allmächtigen Natur, die sie umgab.
    Aber Maliáraq blieb die einzige Prinzessin, die er fand.
    Ihre Seele fand er nicht. Er wusste nicht, ob sie existierte. Er musste daran glauben. Schließlich waren die Eskimos Menschen wie er. Ihre Seelen blieben ihm dennoch verborgen.
    Carl kannte nur wenige Wörter ihrer Sprache. Eines war imara. Das Wort leitete jeden zweiten Satz ein, egal, ob sie auf die Frage eines Dänen antworteten oder sich untereinander unterhielten. Zunächst dachte er, imara bedeute Ja. Dann meinte er, es bedeute Nein. Erst gegen Ende seines Aufenthalts entdeckte er die tatsächliche Bedeutung des Wortes: vielleicht. Das ganze Leben eines Eskimos bestand aus einem großen Vielleicht, seine Zukunft war immer unsicher. Jeder Plan, jedes Wiedersehen, sogar der morgige Tag, alles musste sich in dieser überwältigenden Natur einem Vielleicht unterordnen. Mit dem Wort imara fasste ein Eskimo die ganze Ungewissheit seiner Lebensbedingungen zusammen.
    Die Dänen brachten den Grönländern das Wort Hoffnung und konnten kaum einen Ort oder eine Siedlung mit einem Namen versehen, ohne das Wort Hoffnung mit einzufechten: Julianehåb, Godthåb, Christianshåb, Frederikshåb. Die Eskimos verhielten sich nüchterner. Sie fanden sich mit der Vorläufigkeit aller Dinge ab. Sie lebten in der Gegenwart. Darin bestand der Unterschied. Ihre Seele schlug notgedrungen im Augenblick Wurzeln, nicht in der Ewigkeit.
     
    Er überwinterte in Godthåb, und die Winterdunkelheit kam. Er sah, wie das gespensterhaft grüne Nordlicht sein Banner wie einen Theatervorhang über den Himmel schwenkte, der von einem kosmischen Sturm durchgepustet wurde und doch niemals zur Seite glitt, um zu enthüllen, was auf der Bühne gespielt würde. Der Widerschein der Sterne im Schnee, das bleiche Licht des Mondes über den Gletschern – eine Farbskala, mit der er nicht zurechtkam. Die Schneekristalle fimmerten vor seinem Blick, wenn sie aus dem schwarzen Raum schossen, und schienen ihm wie gefrorene Splitter explodierender Sterne.
    In den kurzen Tagen stand die Sonne dicht über dem Horizont, und er erkannte die Farben wieder. Grau und Umbra dominierten, Erd- und Winterfarben, die Menschen aus dem Norden so gut kennen, wenn Tauwetter sich mit Frost abwechselt und die Nacht nur notgedrungen weicht. Häufig benutzte er das Zwielicht als Hintergrund für seine Darstellungen aus dem Leben der Eskimos.
    Für ein einziges Bild jedoch wählte er eine vollkommen andere Skala. Ein Blau, das tief in einem Eisberg eine Bruchlinie andeutete, die er in hellen und dunklen Nuancen wiedergab, im Schnee, der die Erde bedeckte, in den Schatten der fernen Fjells, in den Eisschollen der nahe liegenden Bucht, im Wasser der Bucht, in dem langschößigen Mantel eines Mannes, der mitten in der Einöde zu einem Gebet niederkniet, in den zerrissenen Wolken, die sich wie Schneefahnen von den Fjellrücken zogen. Es war ein kaltes Blau. Nur an einer einzigen Stelle wurde es warm, in der obersten rechten Ecke des Gemäldes, wo die Wolkenschicht der Aussicht auf ein Stück Himmel weicht.
    Bei dem knienden Mann handelte es sich um Hans Egede. Sein eindringlicher Blick richtete sich zum Himmel, und seine kobaltblauen Augen hatten denselben warmen Ton wie das Bruchstück des Himmels, das sich weit entfernt ahnen ließ. Nur war dieser Blick noch leuchtender in seiner entrückten, ekstatischen Konzentration. Hans Egede betete für das Heil der Eskimos und der Insel, die er gerade zum ersten Mal betreten hatte. Er hatte sie Håbets Ø, Insel der Hoffnung, getauft. Hoffnung – da war es wieder, dieses Wort. Es lag eine naive Ausdauer in der Umdichtung dieses Landes. Sie kam aus dem Glauben, und es war der Glaube, den Carl in Egedes Gestalt beschrieb. Hans Egede hatte dem Land seinen Namen gegeben, er hatte die Eskimos getauft, und Grönland war seither nicht mehr derselbe Ort. Die Kraft des Wortes wirkte durch ihn.
     
    »Na ja, der

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