Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
meinen die Zeichnung. Ha, ha, ha, ja, ich kann halt alles ein bisschen. Ich bin so’ne Art Tausendsassa. Ich kann auch Kartentricks. Wollen Sie mal sehen?«
»Sie glauben doch an Gott?«, stammelte Carl. »Glauben Sie an die Unsterblichkeit der Seele?«
»Der Seele? Was ist denn das für ein Kerl?«
Reimer hatte ein Kartenspiel geholt und legte es auf den Tisch.
»Ziehen Sie eine Karte«, sagte er, »egal welche. Sie werden schon sehen.«
Nach einigen Wochen hatte Carl auch die übrigen Modelle gefunden, die er für sein Bild brauchte. Er hatte beschlossen, nur vier der Apostel zu zeigen. Bei allen handelte es sich um Skipper mit kräftigem, gewelltem Haar und dichten Vollbärten. Äußerlich entsprachen sie einigermaßen den Vorstellungen über die Bewohner Palästinas zur Zeit Jesu. Natürlich hatten die Skipper keine so dunkle Hautfarbe und sahen auch nicht sonderlich semitisch aus, aber einige von ihnen hatten zumindest schwarze Haare und braune Augen. Besonders dänisch sahen sie jedenfalls nicht aus. Carl ließ Gewänder für sie nähen und drapierte wollene Decken über ihren Schultern. Sie zierten sich. Man sah, dass ihnen die Umstände unangenehm waren.
»Wieso suchen Sie sich nicht ein paar Weiber?«, wurde Carl von Skipper Eschen gefragt, seinem Nachbarn in der Teglgade.
Carl plauderte mit ihnen, damit sie seinen Blick vergaßen, der auf der Jagd nach brauchbaren Details ruhelos über sie hinwegglitt. Wenn er sich auf die Gesichter konzentrierte oder sie aufforderte, sich umzugruppieren, damit der Lichteinfall sich veränderte, erstarrten sie und sahen aus wie Patienten, die auf der Bahre liegen und auf das Messer des Arztes warten. Er bat sie, ihre Hände zu falten und mit einem fehenden Gesichtsausdruck nach oben zu blicken. Pfichtschuldig grimassierten sie, und Carl bemerkte, dass sie die peinliche Situation zu überspielen versuchten, indem sie ihr Mienenspiel übertrieben und herumalberten.
»Ja, tut mir leid, Rasmussen«, sagte Fritjof Pedersen eines Tages, als er Carls Unzufriedenheit bemerkte. »Aber ich bin schließlich keiner von diesen Bauernfängern. Wie heißen die noch? Schauspieler?«
»Versuchen Sie, einfach nur geradeaus zu sehen. Und halten Sie Ihre Hände gefaltet vor sich.«
Fritjof Pedersen tat, was man ihm sagte. Sein Gesicht erstarrte vor Feierlichkeit. Sein Porträt machte Fortschritte, doch Carl wurde klar, dass es eher wie eine russische Ikone aussah, nicht wie die realistische Beschreibung eines Menschen in Not.
»Ich glaub nich’, dass ich in den Himmel komm«, sagte Johannes Hay aus der Færgestræde. Carl hatte ihm gerade auf der Skizze gezeigt, an welcher Stelle er in dem so schwer in der See liegenden Boot platziert würde.
Hay war nicht nur der Hübscheste der Männer, sondern auch derjenige mit der reichsten Mimik. Carl glaubte, einen Ausdruck von echter Frömmigkeit in dem aufwärts gerichteten Gesicht eingefangen zu haben, das inmitten des Unwetters den stehenden Christus anfehte. Daher hatte er Hay auch im Steven des Bootes untergebracht, direkt neben Christus. Die anderen bildeten den Hintergrund. Hay hatte im Namen der Besatzung um Erlösung zu fehen. Durch ihn sollte die Gemeinde in der Kirche dem Erlöser zugeführt werden.
»Wie kommen Sie denn auf diesen fürchterlichen Gedanken?«, fragte Carl.
»Na ja, ich hab nun mal den Eindruck, dass nur Feiglinge in den Himmel kommen.«
»Feiglinge?«
»Sie müssen nich’ glauben, dass ich nich’ Angst haben könnte, das kann ich sehr wohl. Aber vor dem büschen Meer, das Sie da aufs Bild gemalt haben, würde ich mich nich’ bange machen lassen. Und den Sturm da hätt’ ich auch selbst abgeritten. Dabei hätt’ Jesus mir nich’ helfen brauchen.«
»Haben Sie Christus’ Hilfe noch nie nötig gehabt?«
»Ja, vielleicht schon. Aber zum Teufel, nich’ wenn ich auf Deck steh. Ich hab mir nie was aus Seeleuten gemacht, die zu fromm waren. Tja, Rasmussen, vergeben Sie mir, aber ich hab den Verdacht, dass Sie Ihr’n Kram nich’ ordentlich können.«
Reimer erwies sich als der Schwierigste von seinen Modellen. Wenn er kam, hatte er sich das kurz geschnittene Haar mit Wasser gebürstet, dass es senkrecht in der Luft stand. Der gewaltige Bart war sorgfältig gekämmt und bedeckte die ganze schmächtige Brust. Ständig verließ er seine Position und kam zu Carl, um sich den Fortschritt der Arbeit anzusehen. Es war Carl unangenehm, ihn neben sich stehen zu haben; und sich selbst gegenüber musste er
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