Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
freundlichem Ton zu antworten.
»Ja, ich bin auch Marinemaler«, sagte er, »aber als Matrose war ich unmöglich.«
Die Gesellschaft lachte, und die Stimmung schien sich zu entspannen.
»Ich gedenke, nach Tahiti zu gehen«, sagte der Maler plötzlich.
»Das ist weit weg.«
Marie kommentierte die Mitteilung in einem Ton, als wäre er ein Kind, das von einer Entdeckungsreise in Afrika fantasierte.
»Oh, da gibt es sicherlich auch Frauen.«
Der Franzose betrachtete Marie aus den Augenwinkeln, sie schlug den Blick nieder und errötete. Viggo Johansen räusperte sich.
Der Franzose erhob sich unvermittelt. »Ich muss gehen«, erklärte er.
Er wandte sich an Carl. »Vielleicht haben Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten? Ich würde Ihnen gern meine Bilder zeigen.«
Carl wollte eigentlich noch nicht aufbrechen, doch seine Höflichkeit siegte. Außerdem wollte er dem Gastgeberpaar gern behilfich sein und dafür sorgen, dass der ungebetene Gast tatsächlich aufbrach. Also begleitete er den Franzosen in den Korridor und zog sich seinen Mantel an. Der andere ging ohne Mantel hinaus in die Kälte.
Der Kongens Nytorv war voller Schlitten, die mit klingelnden Glöckchen rasch über den frisch gefallenen Schnee glitten. Sie gingen den zugefrorenen Frederiksholm-Kanal entlang. Beim Anblick des Freskos an der Fassade des Thorvaldsen-Museums begann der Franzose mit einer Tirade gegen den gefeierten dänischen Bildhauer. Sein berühmter Löwe gliche einer ausgestopften Bulldogge und seine Venus-Figuren wären nichts anderes als züchtige, in feuchte Laken gewickelte dänische Mädchen.
»Kennen Sie Goyas Karneval in Spanien ?«, fragte er.
Carl schüttelte den Kopf.
»Nun ja, ich habe meine eigene Version gemalt«, fuhr der Franzose fort. »Aber statt der Karnevalskostüme habe ich ihnen allen einen Anzug angezogen und einen Zylinder aufgesetzt.«
Er wies auf einige Passanten. »Schauen Sie sie an«, forderte er Carl auf. »Lauter ordentliche Menschen. Eine Maskerade das Ganze. Es gab mal eine bekannte Kopenhagener Dame, die ihr Portemonnaie in einem Laden vergaß. Und was glauben Sie, was man darin fand? Ein Präservativ!«
Carl hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt, aber der Fremde schien es nicht zu bemerken. Schließlich erreichten sie Frederiksberg. Seine Angriffe auf die Dänen wurden immer heftiger, und Carl war überzeugt, dass der Franzose ihn nur deshalb eingeladen hatte. Er brauchte jemanden, den er beleidigen konnte.
Carl erhob jedoch keinen Einspruch. Nicht der Stolz verbot ihm, auf das Spiel des verbitterten Malers einzugehen. Er fühlte sich wie gelähmt und konnte sich nicht erklären, warum. Vielleicht lag es lediglich am Unbehagen, mit einem Menschen zusammen zu sein, der so durchgängig vulgär war und sich nahezu bewusst jeglicher Manieren enthielt.
»Ha!«, sagte der Franzose und schnaubte durch die große gallische Nase über dem hängenden Schnurrbart, dass der frostige Atemdunst ihm wie Strahlen vor seinen Nasenlöchern stand.
»In Dänemark ist es sehr leicht und gleichzeitig sehr schwer, ein guter Maler zu sein. Sehr leicht, weil das, was man sieht, so grauenvoll ist, von so schlechtem Geschmack, dass auch noch die geringste künstlerische Anstrengung vor diesem Hintergrund glänzen muss. Auf der anderen Seite ist es verdammt schwer, weil der schlechte Geschmack so tief im Nationalcharakter verankert ist, dass es als unhöfich betrachtet wird, wenn man etwas anderes tut.«
»Wir sind ja nur ein kleines Land«, erwiderte Carl vermittelnd.
»Ja, das höre ich die ganze Zeit«, knurrte der Franzose. »Wir sind so klein. Wir sind nichts Besonderes. Das sagt ihr Dänen ständig, und es klingt so bescheiden. Aber ihr sagt das nur, damit man euch widerspricht. Ich antworte in der Regel ehrlich. Ja, großes Talent habt ihr nicht, behaupte ich. Und was habe ich von meiner Ehrlichkeit? Überall nur sauertöpfische Mienen. Haben Sie die Weltausstellung in Paris gesehen?«
Carl nickte.
»Ja. Bei dieser Gelegenheit haben wir uns nicht sonderlich hervorgetan. Ein Kritiker schrieb, wenn es einen Ort auf Erden gäbe, an dem man noch nicht verstanden hätte zu malen, dann wäre es Kopenhagen.«
Er wollte seinen Gesprächspartner mit seiner Zuvorkommenheit besänftigen, obwohl er sich tief in seinem Inneren über dessen Grobheiten ärgerte.
Der andere lachte unbarmherzig. »Ja, exakt das ist es. Aber ich will doch zum Lob der Dänen darauf hinweisen, dass die dänischen Maler im Gegensatz zu den Schweden
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