Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
und Norwegern von der Kritik gelernt haben. Es werden Fortschritte gemacht. Der Anblick einiger Gemälde ist durchaus erträglich. Aber die meisten tauchen den Pinsel noch immer in die gleiche traurige braune Soße, die sich auch auf euren Tellern findet.«
»Nun ja, die Tönung«, wandte Carl verärgert ein, »ist schließlich das Entscheidende.«
»Die Tönung! Bah! Wenn Sie ein Porträt malen, bringen Sie wahrscheinlich auf der Nasenspitze auch einen Tropfen von diesem Firnis an, den man für Stühle benutzt.«
Sie waren angekommen. Als sie die Wohnung betraten, unterbrach der Franzose seinen lautstarken Redefuss nicht.
Eine Doppeltür, die ins Wohnzimmer führte, öffnete sich und eine große stattliche Frau mit recht maskulinen Gesichtszügen trat in den Flur. Sie legte einen Finger auf die Lippen und bedeutete ihnen, leise zu sein.
»Meine Französischschüler sind hier.«
Sie begnügte sich damit, ihrem Ehemann zuzunicken, und gab Carl die Hand, wobei sie ihn mit einem Blick musterte, als wäre er bloß einer der Verschworenen ihres hoffnungslosen Mannes auf seinem traurigen Ritt in den Abgrund. Carl nannte seinen Namen, der überhaupt keinen Eindruck machte. Sie nickte noch einmal kühl und verschwand wieder hinter der Doppeltür, die sie sorgfältig schloss, als hätte sie Angst, dass ihre Schüler etwas von diesem kompromittierenden Besuch mitbekommen könnten.
»Dänische Frauen! Honigsüß, wenn sie auf der Straße sind, und essigsauer zu Hause. Kommen Sie! Wir gehen wieder!«
Carl, entsetzt über diesen unhöfichen Empfang, sah den Franzosen verwirrt an.
»Ich meine, wir gehen nach oben. Ich habe mein Atelier auf dem Dachboden. Die Wohnung hat eine Unmenge von großen, hellen Räumen, die zum Malen überaus geeignet wären. Aber sie sind dem Französischunterricht vorbehalten. Und ich, ja, ich gehöre mit all dem anderen ausrangierten Plunder in die Polterkammer.«
Sie gingen die Treppe hinauf und kamen in einen dunklen Korridor, dessen Wände aus zusammengenagelten Brettern bestanden. In einer der beiden Wände befand sich eine Tür, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Der Maler begann, in seinen Taschen nach dem Schlüssel zu suchen, konnte ihn aber nicht finden. Er gab Carl ein Zeichen zu warten und lief den Korridor zurück. Carl hörte aufgeregtes Schreien aus der Wohnung und konnte sich den peinlichen Auftritt durchaus vorstellen, als der Maler wegen eines Schlüssels den Unterricht störte. Er hörte ihn durch die Etagendecke brüllen.
»Na, hat sie euch beigebracht, ordentlich französisch zu reden? Va te faire enculer! Seht ihr, das ist Französisch! Nicht dieses Gouvernanten-Französisch, das euch meine kleine wohlerzogene Frau beibringt!«
Carl wäre am liebsten gegangen, doch eine Tür wurde zugeworfen, und er wusste, dass es zu spät war. Er hörte den Maler die Treppe hinaufstapfen. Wieder stand er vor Carl, diesmal mit dem Schlüssel in der Hand.
»Ich habe den Schlüssel in meiner Tasche gefunden, als ich im Zimmer stand. Das war das Beste überhaupt! Du hättest das Gesicht meiner Frau sehen sollen.«
Er öffnete das Vorhängeschloss und bat Carl mit einer Armbewegung hinein.
»Mein Parnass«, sagte er sarkastisch.
In dem Raum war es halbdunkel und eiskalt. Ein kleines Dachfenster bildete die einzige Lichtquelle. Es ließ sich nicht vermeiden, dass Carl dieses Atelier mit seinem eigenen großen Dachatelier in Marstal verglich, bei dem das halbe Dach aus Glas bestand, sodass der Raum in Licht gebadet wurde. Er empfand eine Spur Mitleid mit dem Franzosen, der unter solch erbärmlichen Bedingungen malen musste. Aber dessen Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner Familie stieß ihn ab. So führte sich ein verantwortungsbewusster Familienvater nicht auf. Die Kunst forderte Opfer, aber der Künstler musste bezahlen, nicht seine unschuldige Familie. Und was sollte er von einer Kunst halten, auf deren Altar das Glück anderer und der eigene Anstand geopfert wurde? Was war das für ein Maler? Ein Börsenmakler, der freiwillig den Konkurs gesucht hatte, weil er alle Werte verachtete, mit Ausnahme der Werte, die er in der Kunst gefunden zu haben glaubte? Sonderbare Ideen hatte er genügend, aber es reichte schließlich nicht, nur den Mund voll zu nehmen. Hatte er auch Talent?
Carl sah sich in dem Dachzimmer um. An der Wand lehnten einige Leinwände und kehrten ihnen die Rückseite zu. Der Franzose unternahm keine Anstalten, sie umzudrehen und Carl seine Arbeiten zu zeigen.
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