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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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gestört. In Engdahls Haus fand er endlich Ruhe.
     
    Carl dachte oft an Jonas. Die Chance, dass sie sich begegneten, war sicher nicht sehr groß. Ob ihr alter Pakt noch galt? Hatte ihre Begegnung für Jonas eine ebenso große Bedeutung gehabt wie für ihn? Würde der Eskimo ihn überhaupt wiedererkennen? Carls abgespanntem und zerfurchtem Gesicht sah man an, dass das Alter wahrlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen war. Hatte sein Blick überhaupt noch irgendwelchen Glanz? Vielleicht fiel es dem Eskimo schwer, zwischen den einzelnen dänischen Gesichtern zu unterscheiden? Vielleicht sahen sie für ihn alle gleich aus? So ging es ja den meisten Dänen mit den Eskimos, warum sollte es umgekehrt nicht genauso sein?
    Immer wieder hatte Carl das Gefühl, beobachtet zu werden, wenn er durch den Ort ging. Er drehte sich dann jedes Mal sofort um, sah aber niemanden. Nur ein einziges Mal bemerkte er den Schatten einer Gestalt, die um eine Hausecke verschwand. Er beschleunigte sein Tempo und folgte ihr. Er konnte sich nicht entschließen, den Mann anzurufen – er war ja nicht einmal sicher, dass es sich wirklich um Jonas handelte. Der andere ging eilig davon. Als wollte er in die Fjells, und Carl hörte schon bald auf, ihm zu folgen. Er blieb eine Weile stehen und sah der Gestalt nach, bis sie zu einem kleinen Punkt in der großen Landschaft schrumpfte.
    Vermutlich hatte es sich lediglich um einen Fremden gehandelt.
    Doch ganz sicher war er sich nicht.
     
    Am ersten Tag wurde von sechs Uhr in der Früh an Stückgut gelöscht. Der folgende Tag war ein Sonntag, den man heiligte. Erst am späten Montagnachmittag waren die Löscharbeiten beendet, und mit dem Beladen des Schiffes konnte begonnen werden. Die Ladung bestand aus Tranfässern.
    Sie hielten sich fünf Tage in Godhavn auf, die ganze Zeit über herrschten trübes Wetter und Windstille.
    Bei dem ruhigen Wetter schoss Johan Mørk eine Robbe. Sie wurde mit zerschmettertem Kopf an Bord gezogen, doch das Herz schlug noch, als der Arzt sich durch eine Speckschicht schnitt, die so dick wie bei einem Schwein war. Mit großem Vergnügen teilten sie sich die wohlschmeckende Zunge des Tieres als Abendessen; allerdings überkam Carl ein Anfug von Melancholie, als er während der Mahlzeit plötzlich die Robbe vor sich sah, wie sie ohne das geringste Anzeichen von Furcht auf das Schiff zugeschwommen kam. Voller Lebensfreude war sie gewesen, bereit, sie zutraulich auch mit den Menschen zu teilen, die jedoch nichts als mörderische Absichten hegten.
    Mørk unterbrach seine schwermütigen Betrachtungen.
    »Sie sind doch Freilichtmaler, Rasmussen. Ich habe einige Ihrer Bilder bei meinen Besuchen daheim in Dänemark gesehen – und außerdem die zahlreichen Stiche in der Illustreret Tidende. Sie sind ein Kenner der Grönländer und verfügen über große Kenntnisse bei der Wiedergabe ihres Alltags. Man spürt einen gewissen Respekt, der sich leider nur selten bei einem Dänen findet.«
    Carl senkte bescheiden den Kopf. Er war das Lob fremder Bewunderer gewohnt und hatte inzwischen gelernt, es nicht sonderlich ernst zu nehmen. Nicht weil er daran zweifelte, dass es von Herzen kam, nur verwechselte er es niemals mit einem seriösen und fundierten Urteil. Nur selten trat jemand an einen bekannten Maler heran, um ihm Unerfreuliches zu sagen. Wer sein Werk nicht schätzte, hielt auf Abstand und begnügte sich mit einem zurückhaltenden ›interessant‹ oder ›spannend‹. Und obwohl Carl in der Öffentlichkeit nur mittelmäßig bekannt war – für populärer hielt er sich nicht -, bekam man von allzu leicht erworbenem Lob doch ein leicht verzerrtes Bild der eigenen Person. Carl hatte sich daher dieses kleine bescheidene Senken des Kopfes angewöhnt, als höfiche Bestätigung des Kompliments und gleichzeitig als Zeichen, dass die Unterhaltung sich eher anderen Themen zuwenden sollte.
    Aber Mørk hatte offenbar ein bestimmtes Anliegen, denn er fuhr unangefochten fort.
    »Eines vermisse ich allerdings bei Ihrer Darstellung der Grönländer. Sie haben sich für die Beschreibung der hellen Seiten ihres Lebens entschieden, für die Tagesseite – oder, wenn Sie so wollen, die Sommerseite.«
    Carl wandte ein, dass er während seines ersten Besuchs auf Grönland überwintert und in mehreren Gemälden die düstere, endlose grönländische Nacht dargestellt hätte, in der man die Landschaft in der Dunkelheit kaum erkannte. Sein Bild eines ertrunkenen Fängers, der in seine Hütte getragen wird,

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