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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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ihn gäbe, würde er ihnen kein ewiges Leben im Himmel, sondern im Meer versprechen.«
    Carl war enttäuscht und verärgert. Er fühlte sich verraten. Das war derselbe Jonas, in dessen Blick er einmal geschaut hatte. Er hatte geglaubt, er hätte endlich eine Brücke über eine Kluft geschlagen, die er für unüberbrückbar hielt. Und nun erwies sich alles als reiner Aberglaube, ein Schamane hatte lediglich den anderen verständnislos angestarrt.
    »Ich verstehe es nicht«, sagte er, »ich hatte den Eindruck, dass ihn mein Bild von Hans Egede beschäftigte. Er war der aufmerksamste Zuschauer, den ich je bei meiner Arbeit hatte. Ich hatte wirklich das Gefühl, ich hätte bei dieser Gelegenheit die Seele der Naturmenschen erfasst.«
    »Über Hans Egede hat er keine sonderlich hohe Meinung, seine Aufmerksamkeit hatte vermutlich andere Gründe. Er glaubt sicher, dass Sie sich über Ihre wahren Fähigkeiten nicht ganz klar sind.«
    Gegen seinen Willen musste Carl lachen.
    »Da kann man mal sehen«, sagte er. »Der Eskimo in einer überraschenden, neuen Rolle als Kunstkritiker.«
     
    Nach ein paar Tagen wurde es wieder richtig kalt. Eis überzog das Rigg, das kaum sichtbar in einem Nebel verschwand, der mit der Kälte gekommen war. Carl bekam Kopfschmerzen, wie immer, wenn ihn das Wetter im Stich ließ.
    Sie brachen von Godhavn auf und näherten sich Vajgattet, wo sich die Felsen ebenfalls fast zweitausend Meter aus dem Meer erhoben. Normalerweise wurde Segelschiffen empfohlen, den Sund, der die größte Ansammlung von Eisbergen an der Westküste Grönlands aufwies, weiträumig zu umfahren.
    Der Nebel hob sich, und sie sahen voraus die Eisberge, die den gesamten Horizont wie eine undurchdringliche Mauer ausfüllten, die jede Durchfahrt versperrte. Wie Beiboote um Ozeandampfer schwammen Eisschollen um die treibenden Eisberge, aus denen ohne Vorwarnung Stücke herausbrachen. Einige Eisberge kamen nicht weiß, sondern blau daher, als hätte das Meer sich in die Luft erhoben. Ihre Kanten wirkten hart wie die Klippen der Küste und gleichzeitig wie aus dem schärfsten und feinsten Glas.
    Kapitän Thomsen zeigte auf die blauen Eisberge.
    »Das ist gefrorenes Süßwasser«, sagte er. »Die Blauen sind die Gefährlichsten. Nachts hat man den Eindruck, als würden sie sich in der Dunkelheit tarnen. Und bei trübem Wetter werden sie eins mit dem Meer. Einen weißen Eisberg kann man fast immer sehen, selbst im Nebel. Von deren Spitze geht sozusagen ein Licht aus. Aber die Blauen verraten sich nicht.«
    Er leckte an seinem Finger und hielt ihn in die Luft.
    »Ein frischer Südost«, sagte er mehr zu sich selbst. Dann nahm sein Gesicht einen tollkühnen Ausdruck an. »Ich glaube, wir wagen’s.«
    »Wagen was?«, wollte Carl wissen.
    »Ihnen zu Ehren, Herr Kunstmaler. Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie hinuntergehen und sich in Ihrer Kajüte verstecken wollen …«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Die größte Autorität auf diesem Gebiet, der hochverehrte Oberleutnant Garde, warnt vor dem Vorhaben, auf das wir uns nun einlassen werden, nämlich direkten Kurs auf dieses Gatt zu halten. Nun ja, ich gehe nicht davon aus, dass Sie seine Bekanntschaft gemacht haben. Garde ist Autor eines Handbuchs über die Besegelbarkeit der Kolonien Westgrönlands. Ein nützliches Buch, hat man mir erzählt, ich hab’s in meiner Kajüte, es liegt unter dem Kopfkissen, wenn ich schlafe. Es wurde mir von der Königlich Grönländischen Handelsgesellschaft aufgenötigt, die nach den zwanzig Jahren, die ich diese Küste befahre, nicht sehr viel Vertrauen in meine Erfahrung hat.«
    Thomsen reckte noch einen Finger in die Luft.
    »Oberleutnant Garde räumt jedoch ein, dass der Versuch unter ganz besonderen Umständen unternommen werden kann. Klares Wetter und ein frischer Südost. So wie jetzt.«
    Er drehte sich um und rief den Steuermann.
    »Ryberg«, sagte er, als der Steuermann mit einem aufmerksamen Gesichtsausdruck vor ihm stand. »Tu, was du am besten kannst. Geh auf die Knie und bete zu deinem Gott, wie du es noch nie zuvor getan hast. Wir segeln jetzt nämlich durch Vajgattet. Jetzt landen wir, der Teufel soll mich holen, direkt im Eis.«
    »Und wenn der Nebel zurückkehrt?«, fragte Carl unruhig.
    »Dann würde ich Ihnen empfehlen, Ryberg Gesellschaft zu leisten. Runter auf Deck, auf die Knie und den Herrgott angerufen, denn dann haben wir’s verdammt noch mal nötig.«
    Kapitän Thomsen fing an, Befehle zu brüllen. Der gezackte Rand der treibenden

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