Rasputins Erbe
Narben, wenn du verstehst, was ich meine.“
Verena kochte vor Wut und sie warf alle guten Vorsätze über Bord, als sie sich offen mit Annabelle anlegte: „Du elende Schlampe. DU warst das. Julia hatte recht. DU warst in dem Keller. DU hast Julia verbrannt.“
Verena realisierte erst jetzt, dass Annabelle rauchend vor ihr stand. Sie hatte bisher überhaupt nicht auf die Zigarette in ihrem Mund geachtet. Verena hatte Julia wie einen Idioten dargestellt und das tat ihr nun unendlich leid. Aber sie konnte nichts mehr daran ändern.
Annabelle holte Verena zurück in die Realität, als sie verschmitzt fragte: „Kannst du es denn beweisen?“
Sie lachte, nun ungehemmt und laut, und drehte sich auf dem Absatz um. Sie ging geradewegs auf die Frau am Empfang zu und sagte etwas zu ihr, was Verena nicht hören konnte.
Verena richtete sich auf und wollte Annabelle einholen, aber die Frau vom Empfang war ebenfalls aufgestanden und hielt sie davon ab, in den Flur einzubiegen, auf dem Annabelle verschwunden war.
Verena keuchte vor Aufregung. Ihr Herz raste. Annabelle hatte quasi zugegeben, dass sie für Julias Brandmal verantwortlich war. Aber das konnte sie nicht beweisen. Es gab keine Zeugen. Sie hatte auch sonst nichts gegen Annabelle in der Hand. Letztendlich waren Annabelles Andeutungen nichts als wertlose Indizien. Niemand würde ihr glauben, dachte Verena niedergeschlagen.
Sie riss sich aus der Umklammerung der Empfangsdame und torkelte benommen rückwärts. Ihr wurde schwindelig, aber sie schaffte es noch bis zum Lift. Als die automatischen Aufzugtüren sich gerade schlossen, sah Verena zwei Sicherheitsleute aus dem Flur kommen, die ihr offenbar den Weg nach draußen zeigen sollten. Sie lehnte sich an das Geländer im Aufzug und mied ihr Spiegelbild in den blank polierten Aluminiumwänden des Lifts. Sie wollte einfach nur noch raus aus dem Gebäude. Sie brauchte frische Luft.
Und sie wollte Julia sofort anrufen und ihr erzählen, was sie herausgefunden hatte. In erster Linie wollte Verena sich jedoch dafür entschuldigen, dass sie Julia nicht von Anfang an geglaubt hatte.
Draußen angekommen sog sie gierig die kalte, klare Luft ein und kramte nervös in ihrer Handtasche nach ihrem Telefon.
Besetzt. Verena fluchte leise, aber es ließ sich nicht ändern. Sie würde es später noch einmal versuchen, dachte sie und ging in Richtung ihrer U-Bahn-Station.
Kapitel 18 – Endstation Unterwäsche
Julia warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Fast halb zwölf. Sie schaute auf das Chaos auf ihrem Schreibtisch und überlegte, dass es sich vor der Pause nicht mehr lohnen würde, mit dem Papierkram weiterzumachen.
Sie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und schnellte gleich wieder nach vorn. Sie hatte zum gefühlten zehnten Mal vergessen, dass eine eitrige Brandwunde an ihrem Bauch prangte, die sich immer dann meldete, wenn Julia ihre Haut zu sehr streckte. Bequemes Sitzen war so gut wie unmöglich, also stand sie vorsichtig auf und ging zum Fenster.
Es schneite, aber der Schnee blieb nicht lange liegen. Es war nicht kalt genug. Übrig blieb ein gräulicher Matsch und Julia konnte sogar aus ihrem Büro im fünfzehnten Stock erkennen, dass nicht wenige der Menschen auf den Straßen Schwierigkeiten hatten, sicher und vor allem trockenen Fußes von A nach B zu kommen.
Julia dachte an ihren Spontankauf vom Vortag und lächelte dem durchsichtigen Spiegelbild im Fenster vor ihr zu. Sie war Verena immer noch dankbar, denn ohne sie hätte sie den Sonntag wahrscheinlich wirklich heulend im Bett verbracht. Sie hatte zwar trotzdem geheult, aber wenigstens war sie nicht allein gewesen.
Sie musste sich dazu zwingen, über etwas anderes nachzudenken, denn das Thema „Alexej“ regte sie zu sehr auf. Es war fast unerträglich, dass sie nicht wusste, ob sie auf den mysteriösen Russen wütend sein konnte oder nicht. Sie hätte gerne Gewissheit gehabt, um wenigstens irgendjemanden hemmungslos hassen zu können.
Aber ihre Vernunft hielt sie davon ab, sich in Rachefantasien zu verlieren. Sie wollte erst sicher sein, ob tatsächlich Alexej für das Brandmal verantwortlich war oder nicht. Danach könnte sie ihm immer noch die Hölle heiß machen, dachte Julia eigensinnig.
Es klopfte und als Julia aus ihrem Tagtraum aufschreckte und den Kopf ruckartig zur Tür drehte, durchfuhr sie abermals der höllische Schmerz ihrer hässlichen Wunde.
„Ja! Herein!“, rief sie ungeduldig und bemühte sich erneut, den Schmerz zu
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