Rasputins Tochter
Dunja nicht gesagt, dass wir unbewacht gelassen worden waren. Falls die Agenten wieder fort waren, wer konnte das draußen vor der Tür sein, einer von Vaters gewöhnlichen Bittstellern, eine bedeutende Persönlichkeit - oder Attentäter, die von de großherzoglichen Feinden meines Vaters gesandt wurden?
Keine Zeit verschwendend schoss ich hinter Dunja her, hinaus aus der Küche, durch das Esszimmer und den Flur hinunter. Ich befürchtete eine Schwadron muskulöser Männer in schwarzen Lederjacken, die - indem sie mit Pistolen und Messingschlagringen herumfuchtelten - durch die Zimmer sausen, Papa niederschießen und ihn zu blutigem Brei schlagen würden.
„Dunja, warte!“, schrie ich. „Öffne nicht -“
Aber es war zu spät. Dunja zog schon die schwere Tür auf. Dort stand weder eine kleine Schar von Männern noch ein Großherzog oder Fürst oder sogar ein Premierminister, sondern eine einsame Frau, vielleicht in ihren späten Zwanzigern. Als ich ihr einfaches schwarzes Cape genau betrachtete, das von ihren Schultern fiel und ihre Hände tief in den Falten eines Muffs vergraben bemerkte, ließ meine Panik nur leicht nach. Immerhin, wenn eine kleine Frau, deren Nase von Syphilis weggefressen worden war, meinen Vater mit einem Messerstoß beinahe töten konnte, was für einen Schaden könnte eine attraktive, gesund aussehende Frau wie die anrichten?
„Was ist Ihr Wunsch?“, fragte Dunja unsere Besucherin.
„Bitte, ich suche Vater Grigori“, sagte die scheinbar liebenswürdige Frau, ihre Augen verschleiert vor Tränen. „Mein Name ist Olga Petrowna Sablinskaja und ich brauche unbedingt Hilfe.“
„Es tut mir leid, mein Kind, aber Sie hätten nicht in das Gebäude gelassen werden dürfen. Vater Grigori empfängt heute nicht.“
„Er muss mich sehen! Bitte, ich flehe Sie an!“, rief sie aus, zog eine Hand aus ihrem Muff uns wischte ihre Augen ab. „Ich brauche Vater Grigoris Hilfe im Namen meines Ehemannes, der ein Fähnrich ist. Er wurde ernsthaft verwundet und liegt nun in Fürstin Kleinmichels Krankenhaus. Morgen jedoch überstellen sie ihn von der Stadt in ein schreckliches Sanatorium und ich fürchte um sein Leben. Kann nicht Vater Grigori etwas für einen jungen Mann tun, der eine Kugel um des Mutterlandes willen bekommen hat?“
Dunja begann die Tür zuzudrücken. „Es tut mir leid, meine Liebe, aber Sie werden morgen wiederkommen müssen. Vater Grigori ist vollkommen erschöpft und hilft niemandem.“
„Sie verstehen nicht, Sie -“
Vom hinteren Teil der Wohnung kam die Stimme meines Vaters, verschlafen, aber dröhnend. „Dunja, wer besucht uns? Wenn es eine Besucherin ist und sie hübsch ist, lass sie auf jeden Fall herein!“
Dunja betrachtete die junge Frau, die tatsächlich recht attraktiv war, ihre Haut blass und rein, ihr Gesicht süß mit einem kleinen Mund und netten blauen Augen. Und unsere Haushälterin, die meinem Vater gegenüber nie ungehorsam sein konnte, wusste, dass sie keine Wahl hatte.
„Gott hat Ihr Flehen erhört … und so wird es auch Vater Grigori“, sagte Dunja und schwang die Tür auf. „Bitte, kommen Sie herein.“
„ Slawa bogu “, sagte Olga Petrowna. „Ich habe solche Angst, dass meine Mann sterben wird, wenn sie ihn fortbringen, und -“
„Bitte, Kind, sparen Sie Ihre Worte für Vater Grigoris Ohren. Ich selbst kann nichts tun.“
Diese Fremde schien aufrichtig zu sein. Krankenhäuser waren in Palast-Ballsälen in der ganzen Stadt errichtet worden, und ihr Ehemann konnte sehr wohl in einem davon liegen. Aber als sie über unsere Schwelle und in unser Heim stieg, erglühte ich vor Furcht. Hatte sie eine Waffe in ihrer Kleidung versteckt, vielleicht eine kleine Pistole in ihrem Muff?
Unten vom Flur her befahl ich: „Dunja, nimm sofort ihr Cape und ihren Muff!“
Überrascht durch meinen herrischen Befehl drehte sich Dunja um und starrte mich an. Trotzdem fügte sie sich und nahm die abgetragenen Kleidungsstücke der Frau in die Hand. Aber da war nichts Merkwürdiges, kein versteckter Dolch oder eine Pistole. Erleichtert, dass zumindest diese Frau keine Waffen trug, drehte ich mich um und eilte den Flur wieder hinunter, ging um den Salonherum und eilte zu Papas Arbeitszimmer. Ich verstand noch immer nicht, wie sie in das Gebäude gelangt war, ganz zu schweigen, den ganzen Weg herauf. Warum hatten die Sicherheitswachen sie nicht angehalten? Hatte sie sie irgendwie bestochen, entweder mit einer Faustvoll Rubel oder einem offenen Kleid?
Aus Angst,
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