Rasputins Tochter
verstand. Dann wieder war alles, was zählte, was er gleich hier und jetzt tun konnte. Papa, erkannte ich, war wie Chiron der Zentaur, der von einem vergifteten Pfeil verwundet worden war, aber nicht starb, und der alle außer sich selbst heilen konnte. Wenn nur das ganze Land hier wäre, direkt in diesem Schlafzimmer, da würde es keine Rufe nach dem Tod meines Vaters geben, es würde nicht sein, dass die Kaiserin eine Verräterin genannt wurde. Ganz im Gegenteil. Sie und mein Vater taten alles, was sie konnten, um den Erben und das Reich zu retten.
Indem ich meinem Vater und seiner unausgesprochenen Bewegung folgte, ging ich um das Nickelbett, während Papa zum kiot fortsetzte, der mit einer glitzernden Masse von goldbedeckten und mit Edelsteinen geschmückten heiligen Ikonen und flackernden Lampen gefüllt war. Als sich seine Hand nach oben streckte, wusste ich sofort, nach welcher Ikone er griff, der strahlenden Kazanskaja , Unsere Dame von Kazan, das gemalte Bild in einer Goldmasse, Staubperlen, Smaragde und Diamanten. Die Heilige Mutter mit Kind darstellend, war diese Ikone über die Jahrhunderte mit dem Schicksal Russlands verbunden. Während das Original in der Stadt in der Kazanski-Kathedrale am Newsky Proskept stand, gab es viele wunderwirkende Kopien, wovon ich nur hoffen konnte, dass dies eine war. In unserer eigenen Familie war diese Ikone von besonderer Bedeutung für die Geschichte meiner Namensschwester, die kleine Matronja. In den 1500er-Jahren war das Haus eines Soldaten ganz bis zum Boden abgebrannt und alles wurde für verloren gehalten, Ikonen und alles. In jener Nacht hatte die Tochter des Soldaten, Matronja, eine Vision von der Heiligen Mutter in der Asche. Niemand glaubte ihr, aber Matronja bestand darauf, und rechtzeitig wurde ein Spaten geholt, die Mutter des Mädchens grub und die Ikone wurde gefunden, vollkommen unbeschädigt. Seither haben viele Wunder vor dieser Ikone stattgefunden, einschließlich, als sie in die Schlacht mitgenommen wurde und der Sieg gesichert wurde, zuerst über die Polen und viel später über Napoleon.
Papa griff hoch, legte eine Hand einfach vor die Ikone und stimmte an: „O heiligste Mutter Gottes, du, die dein Bild vor Schaden rettete, wir flehen dich an, uns zu retten, deine Unwürdigen!“
Mein Vater stand dort, murmelte und sang, bebte und zitterte. Als er zu den Himmeln rief, hervorzuströmen aus und durch dieses religiöse Bildnis, sah ich zu - und fühlte es, eine Macht, eine Art göttliche Sicherheit. Langsam drehte sich Papa mir zu, seine Augen nicht blinzelnd, sondern unbeweglich und bemerkenswert aufmerksam.
„Matronja, meine Tochter“, sagte er, seine Stimme ungewöhnlich tief und fremd, „dreh dich um und lege deine Hände über den Schmerz des Jungen.“
Ich geriet in Panik. Ich hatte Tod gesehen, aber nur aus einer Entfernung. Ich hatte Schmerz gehört, aber nur von fern. Ich blickte hinunter auf meine offenen Handflächen, die leer zu mir zurückstarrten. Was waren diese einfachen Hände und was konnten sie tun? Könnte ich den Jungen verletzen statt zu helfen?
Plötzlich berührte mich Papa auf der Stirn und sagte: „Deine Weisheit und dein Glauben sind nicht hier.“ Als Nächstes drückte er seine flache Hand gegen meine Brust und über mein Herz. „Aber hier.“
Erschrocken und beunruhigt hob ich meine Augen.
„Es gibt heute Nacht keine Furcht, meine Matronja. Vertraue mir. Heute Nacht musst du mir helfen, von der Ikone zum Jungen zu reichen, was du tun kannst. Es ist Zeit für dich, deine eigenen Stärken zu erkennen, von denen du eine ganze Menge hast.“
Sobald er es gesagt hatte, erkannte ich, dass mein Vater Recht hatte. Ich wusste nicht, ob ich etwas von ihm geerbt hatte, auf die Art wie eine Sängerin oder Malerin oder Bildhauerin Gaben von ihren Eltern erbt, oder ob ich tatsächlich bloß beobachtet und das Können meines Vaters aufgenommen hatte. Aber ich fühlte etwas, eine Macht vielleicht, obgleich im Werden. Oder vielleicht war, was ich erkannte, einfacher Glaube, ein Vertrauen, dass diese Dinge zu geschehen veranlasst werden können, dass die Macht des Gebetes tatsächlich Gott rufen kann, um herabzuscheinen und jemanden zu heilen
Ich wandte mich dem Bett zu und starrte auf den Erben Zarewitsch, der dort gegen seine Laken wie ein bleicher Geist lag, der in einer blassen Wolke schwebte, seine Augen eingesunken und von aschfarbenen Kreisen umrandet. Vor mehreren Tagen war er beinahe an einfachem Nasenbluten
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