Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Reichsführer
SS beantragen mussten. Na ja, Sie wissen schon, Auslese und Erhaltung des rassisch
und erbgesundheitlich guten Blutes und dergleichen.«
Pohlmann
nickte wissend.
»Ab 1932?«
»Genau.
Die brauchten sogar eine Verlobungsgenehmigung. Meistens hat sich Himmler persönlich
darum gekümmert.«
»Sie wissen
eine ganze Menge aus dieser Zeit, was?«
»Na ja. Ich muss es ja wissen. Das ist mein Job.« Die Angestellte rümpfte die Nase,
und mit jeder weiteren Geste der Arroganz wuchs Martins Unbehagen. Dennoch beschloss
er, es weiterhin freundlich zu versuchen. Wenn nichts anderes helfen würde, würde
er einen anderen Ton wählen müssen, der eher dienstmäßig und autoritär untermalt
war.
»Sind Sie
gerade mit etwas Wichtigem beschäftigt oder könnten Sie mir bei meiner Suche behilflich
sein? Ich habe leider nicht mehrere Tage Zeit, sondern nur heute. Die ganze Geschichte
eilt ein wenig.«
»Ja.«
»Was, ja?«
»Ja. Ich
bin mit etwas sehr Wichtigem beschäftigt. Ich fürchte, Sie müssen sich da allein
durchwühlen. Es ist alles ausgezeichnet katalogisiert.« Die Dame nahm den Stift,
den sie kurz zuvor beiseite gelegt hatte, zur Hand und konzentrierte sich auf ihre
Liste. Ihr Blick war starr darauf gerichtet. Und damit war Martins Anliegen bereits
vergessen. Ob sie nur unkooperativ war oder ob sie einen extremen Widerwillen gegen
Pohlmanns Viren und Bakterien hatte, konnte Martin nur erahnen. Wie ein dummer Schuljunge
abserviert, schaute Martin auf die schreibende Frau mit den grauen Haaransätzen,
die die rötliche Tönung vor sich herschoben, herab. Er blickte auf die Uhr. 12.30
Uhr. Dann, als ihn die Wut übermannte, stützte er sich mit beiden Händen zu der
Frau herab. »So. Jetzt hören Sie mir genau zu, Frau … Frau … Ach, egal. Ich bin
heute Morgen eigens aus Hamburg hierher gefahren, gehöre eigentlich mit meiner Scheißgrippe
ins Bett und muss trotzdem in einer Reihe von Mordfällen ermitteln, und wenn Sie
mir nicht sofort alle Auskünfte liefern, die ich für meine Arbeit benötige, stirbt
schneller ein Mensch, als es nötig wäre, und Sie tragen die Schuld daran. Haben
Sie mich verstanden …«, Martin richtete das nach vorn umgekippte Namensschild auf
und las den Namen darauf, »… Frau Kassner?«
Mit bleichem
Gesicht legte Ingeborg Kassner den Stift an die Seite und stapelte einige beschriebene
Bögen Papier übereinander. Dann klopfte sie mehrfach die Blattkanten des Stapels
auf dem Tisch auf, bevor sie die Papiere in ihrem Schreibtisch verstaute.
Sie beugte
sich der Staatsgewalt.
Mit Bedacht
schob sie den Stuhl, auf dem sie saß, nach hinten, strich über ihren Rock und erhob
sich von ihrem Platz.
Martin taxierte
die unscheinbare Dame auf Mitte bis Ende 50, ein Alter, wie er vermutete, in dem
man es eh nicht leicht mit Männern hatte oder es aufgegeben hatte, es mit ihnen
leicht haben zu wollen. An ihrer Hand fand er keinen Ring und dachte sich seinen
Teil.
»Na schön.
Ich habe zwar Termine einzuhalten, aber das können Sie gern meinem Chef verklickern.«
Martin formte
die Lippen zu einem Schmollmund. Schon tat es ihm leid, die Frau brüsk angefahren
zu haben, doch manchmal half eben nichts anderes. »Sorry, aber ich muss heute Abend
wieder zurück. In Hamburg läuft ein Serienkiller durch die Stadt, und ich muss mich
beeilen, den Kerl zu schnappen.«
Ingeborg
Kassner strich den grauen Rock ein weiteres Mal glatt und rückte die Brille auf
dem Nasenrücken zurecht. Sie schien nun den Ernst der Lage im Ansatz zu begreifen
und sah Martin beinahe freundlich an. Für einen Augenblick realisierte sie, dass
es außerhalb dieser Mauern, in denen sie sich gern verschanzte, ein wirkliches Leben
gab. Ein Leben, in dem sich die Dinge so abspielten, wie sie sie als Akte oder Fallkatalogisierte.
»Okay, fangen
wir noch mal von vorn an«, sagte sie. »Sie brauchen also, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, die Namen der Väter zu bestimmten Personen, die in einem Lebensbornheim zur
Welt gekommen sind.«
Martin nickte
bestätigend. »Genau.«
»Kennen
Sie den Namen des Heims?«
»Steinhöring
in der Nähe von München«, platzte es aus ihm heraus.
»Gut. Kommen
Sie bitte mit. Das engt unsere Suche beträchtlich ein.« Ingeborg Kassner und Martin
Pohlmann stiegen eine lange, geschwungene Treppe zu einem höher gelegenen Stockwerk
empor. Dann schritten sie einen hellen Gang entlang, vorbei an unzähligen Regalen.
Martin schnaufte, zum einen, weil er für derartige Exkursionen aus der
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