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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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unbequemen Holzstuhl auf, der ihn an jenen antiquierten Verhörstuhl
in seinem Büro erinnerte, und streckte den Rücken. »Die Prozessteilnehmer haben
nach dem Prozess weitere Recherchen angestellt. Es müssen derart brisante Informationen
darunter gewesen sein, dass es für einen neuen Prozess gereicht hätte.«
    »Wieso hätte?
Gibt es jetzt einen Prozess oder nicht?«
    »Das genau
ist mein Problem. Von den ehemals sechs Klägern sind in den letzten Wochen drei
ums Leben gekommen. Ein weiterer in diesem Zusammenhang wichtiger Zeuge war Professor
Keller, der den Prozess vorangetrieben hatte, und der ist ebenfalls tot. Genau genommen,
ist er als Erster gestorben.«
    Ingeborg
Kassner lehnte sich zurück und blickte durch Pohlmann hindurch. Sie schob in einer
aparten Bewegung mit dem Daumen eine Strähne aus ihrem Gesicht. »Ja, ich erinnere
mich an den Mann. Ein Arzt, nicht?«
    Martin nickte.
    »Er war
Psychiater und leitete eine Anstalt, richtig?« Frau Kassner brauchte einen Augenblick,
um die Nachricht zu verarbeiten. Dann hakte sie nach. »Wie ist er gestorben, wenn
ich fragen darf?«
    »Sie dürfen.
Er hat sich in seinem Arbeitszimmer in den Kopf geschossen. Zumindest sollte es
so aussehen.«
    Ingeborg
hielt sich die Hand vor den Mund und wurde blass. Die Vorstellung, einen Menschen
vorzufinden, dem eine Hälfte des Gesichtes fehlte, rief Übelkeit in ihr hervor.
Dann meldete sich ein Funke von kriminalistischem Spürsinn in ihr. »Ach, Sie glauben,
es war gar kein Selbstmord?«
    »Genau das
glaube ich«, gab Martin hüstelnd zurück.
    »Wie gesagt
sind drei weitere ehemalige Kläger, die offenbar eine ganze Menge herausgefunden
hatten, auch gestorben und zwar immer so, dass es nach Selbstmord oder einem Unfall
aussah.«
    Frau Kassner
hielt den Kopf in ihren Händen. »Mein Gott! Das ist ja furchtbar. Und jetzt suchen
Sie hier nach Hinweisen auf deren Mörder?« Ingeborg sah Martin an.
    Er schlug,
vielleicht etwas zu laut, mit der flachen Hand auf die Akten der drei Nazis. »Ich
habe Unterlagen zu drei Männern, die ich im Geheimfach eines Schreibtisches gefunden
habe. Führende SS-Leute und möglicherweise Kriegsverbrecher.«
    »Und was
haben die mit den Opfern zu tun?«
    »Ich vermute,
dass diese Menschen, die in Steinhöring zur Welt gekommen sind, so lange in ihrer
Vergangenheit herumgewühlt haben, bis sie auf Material gestoßen sind, das sie besser
nicht hätten finden sollen. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sie sich über
die Brisanz der Unterlagen im Klaren waren. In erster Linie ging es den Leuten darum,
eine simple Frage beantwortet zu bekommen: Wer waren meine Eltern? Wer war mein
Vater? Und damit einhergehend: Wer bin ich eigentlich?«
    »Na ja,
das ist ja auch nur allzu verständlich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein
muss, nicht zu wissen, wer Vater und Mutter waren beziehungsweise sind.«
    »Noch dazu,
wenn man herausfindet, dass der Vater nicht nur ein harmloses Parteimitglied der
NSDAP war, sondern aktives Mitglied der Waffen-SS oder im schlimmsten Fall ein Mörder.«
    »Oh je.
Ich glaube, das wird ein langer Tag heute. Aber nach dem, was Sie mir erzählt haben,
helfe ich Ihnen gern. Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn Menschen
hierher kommen, um sich Unterlagen abzuholen oder sie einzusehen, aus denen hervorgeht,
wer ihre Eltern waren. Die meisten Betroffenen, die in einem Lebensbornheim zur
Welt kamen, sind in Pflegefamilien untergekommen. Und wenn man den Kindern, was
häufig der Fall war, einen neuen Namen gegeben hat, wird es extrem schwierig, die
Identität der Eltern zu ermitteln. Ich habe kürzlich einen Fall bearbeitet, wo eine
65-jährige Frau vor ihrem Tod Frieden finden wollte. Sie hatte Krebs im fortgeschrittenen
Stadium und wollte wissen, wer ihr leiblicher Vater war, ganz gleich, was er getan
hatte. Obwohl sie schon genug durch den Krebs gestraft war, fanden wir noch heraus,
dass ihr Vater ein mehrfacher Mörder war, der in verschiedenen Lagern an diversen
Erschießungskommandos teilgenommen hatte und zwar mit Freude an der Sache, wie ein
Foto bewiesen hat, auf dem er mit einer Waffe in der Hand hinter einem Opfer steht,
das er lachend mit einem Genickschuss hinrichtet. Obwohl die Nachricht für die Frau
furchtbar war, war sie erleichtert. Ich habe noch ein Mal von ihr gehört, einen
Tag vor ihrem Tod. Sie rief mich an und erzählte mir, dass der Pfarrer bei ihr war
und sie nach mehreren Stunden Gesprächs unter vielen Tränen bereit gewesen

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