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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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durch
Streusalz angetauten grauen Matsch. Im Osten hatte es über Nacht geschneit. Das
Bordthermometer zeigte kurz vor Verlassen des heimeligen Innenraums des PKW minus
vier Grad. Die Luft war eisig, klar und frisch. Martin schloss die Augen und inhalierte
einen Augenblick den Sauerstoff. Er fühlte sich unerwartet gut, und es war ihm egal,
ob dies den Medikamenten, die durch seine Kapillaren strömten, zuzuschreiben war
oder ob ihn die Aufgabe, die vor ihm lag, derart mit Neugier und Lebensfreude erfüllte.
Herumzuschnüffeln, das war sein Job, und dies konnte er an diesem Tag reichlich
tun.
    »Guten Morgen.«
    Die Dame
hinter dem Schreibtisch mit dem brünetten Haar übertrug handschriftlich eine Liste
in einen Ordner und gab sich Mühe, ordentlich und leserlich zu schreiben. Sie blickte
vor Beendigung ihres Satzes nicht und danach nur widerwillig auf. Sie behielt den
Stift in der Hand, da sie beabsichtigte, ihre Arbeit unverzüglich wieder aufzunehmen.
Sie fühlte sich gestört, obwohl es ihr Job war, Bürgeranfragen nett und zuvorkommend
zu beantworten.
    »Ja, bitte?
Was kann ich für Sie tun?«
    Martin schnaubte
in ein Papiertaschentuch und steckte es dann umständlich in die Hosentasche unter
der Lederjacke. Instinktiv wich die Dame zurück, ohne ausgesprochen unhöflich zu
wirken. Das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte, war eine dicke Erkältung
von einem Hippie, dachte sie.
    »Ich bin
auf der Suche nach einigen Lebensbornakten. Können Sie mir da weiterhelfen?«
    »Alten oder
neuen?«
    Martin runzelte
die Stirn. »Ich verstehe die Frage nicht. Ich suche die Akten zu konkreten Namen.«
    »Haben Sie
eine schriftliche Genehmigung? Vor der Aufnahme der Benutzung muss unter Angabe
des Benutzungszweckes eine schriftliche Anfrage gestellt werden.«
    Damit von
Anfang an keine Missverständnisse herrschten, zog Pohlmann seinen Dienstausweis
hervor und hielt ihn der Dame unaufgefordert dicht unter die Brille. Erst schielte
sie über die Gläser in Pohlmanns Gesicht, dann zurück auf das Bild des Ausweises
und dachte sich ihren Teil. Das Bild stammte aus vergangenen Tagen, und es hätte
außer Martin fast jeder mit der Behauptung, Bulle zu sein, vorzeigen können.
    Sie schien
sich mit diesem Ausweis auch ohne vorherige schriftliche Anfrage zufriedenzugeben.
Außerdem warteten wichtigere Dinge auf sie. Sie beschloss, den Besucher kurz abzufertigen,
und holte zu einer typischen Erklärung zu den in diesen Gemäuern lagernden Unterlagen
aus.
    »Also, es
ist so: Das Bundesarchiv wurde 1996 erbaut. Es wurden größtenteils alte Akten aus
dem ehemaligen amerikanischen Berlin Document Center übernommen. 1998 wurden jedoch
1.000 neue Akten aus verschollenen Beständen gefunden und im Bundesarchiv einsortiert.«
Die Dame hinter der Rezeption bedachte Martin mit einem einstudierten Blick, der
Anteilnahme an einer möglicherweise tragischen Familiengeschichte zum Ausdruck bringen
sollte. »Sind Sie selbst betroffen oder ermitteln Sie beruflich?«
    »Rein beruflich.
Gott sei Dank. Außerdem möchte ich gern wissen, ob Sie Akten zu ehemaligen SS-Leuten
aufbewahren.«
    »Auch das.
Selbstverständlich! Was genau suchen Sie denn?« Pohlmann zuckte mit den Schultern.
»Ich suche ehemalige SS-Männer, die Kinder gezeugt haben, die in Lebensbornheimen
zur Welt gekommen sind.«
    Die Dame
lachte spöttisch auf. »Das ist noch viel zu vage. Haben Sie eine Ahnung, wie viele
Akten hier lagern?« Pohlmann schüttelte wie ein von der Lehrerin gerügtes Kind den
Kopf. Die Dame fuhr fort:
    »Zum einen
haben wir da circa 240.000 Einzelfallakten des Rasse- und Siedlungshauptamtes der
SS. Hier können Sie zu privaten Lebensumständen von SS-Leuten nachforschen, wie
zum Beispiel, welche Bräute oder Ehefrauen und wie viele Kinder sie hatten et cetera.«
Wieder entwich ihr ein spöttisches Lächeln. »Damit dürften Sie bereits Tage beschäftigt
sein. Dann sind da noch die anderen Bestände der SS-Führerpersonalakten und der
SS-Unterführer und Mannschaften.«
    Pohlmann
war irritiert. Er wusste zwar, dass das Bundesarchiv als umfangreich bekannt war,
doch Tage? Die hatte er wahrlich nicht zur Verfügung.
    »Das wusste
ich nicht, dass hier so viele … Wie ist das nur möglich?«
    »Tja«, gab
die Dame am Schreibtisch kokett zurück, als sei es ihr persönlicher Verdienst gewesen,
dass der Aktenberg eine derartige Höhe aufwies, »es geht schon damit los, dass alle
SS-Angehörigen ab dem 1. Januar 1932 ihr Heiratsgesuch schriftlich beim

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