Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Szene diejenige, die
eine neue Zeit ankündigt. Oder eine Art Friedensbringer. Ich weiß es noch nicht,
aber ich werde es herausfinden. Das schwör ich dir.«
Werner nickte
zufrieden und verfolgte mit den Augen die schwarzen Regenwolken, die am Fenster
vorbeizogen. »Keiner hat es geglaubt.«
Martin sah
Werner irritiert an.
»Keiner
hat geglaubt, dass du nach deinem Burn-out wieder so richtig fit werden würdest.
Nach dem Unfall damals – du warst nur ein Schatten deiner selbst, aber wenn man
dir jetzt so zuhört. Mann, klasse. Du bist wieder ganz der Alte, und das freut mich.«
»Danke,
Werner. Aber jetzt haben wir noch einen Haufen Arbeit vor uns und eine Menge Fragen.
Wer ist dieser Scheißpsychopath? Wir müssen uns beeilen. Selbst wenn Feldmann keinen
Polizeischutz will, müssen wir ihn observieren lassen, dann eben ohne Einwilligung.
Ich will nicht, dass noch mehr Menschen sterben.«
Martin schob
seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück. »Ich muss zu Schöller.«
»Oh, hast
du Sehnsucht?«, witzelte Werner.
»Bestimmt
nicht. Er muss ein Fax aus dem Bundesarchiv bekommen haben. Er kann sowieso nichts
damit anfangen.«
Martin blieb
abrupt stehen. »Ach, stimmt ja. Das Neueste weißt du ja noch gar nicht.« Martin
ließ seinen Freund Werner ein wenig schmoren und rückte dann mit der Neuigkeit heraus.
»Professor
Hans Keller hieß nicht immer so.«
»Sondern?«,
forderte Werner.
»Tja, das
ist der Hammer. Keller kam als Siegfried zur Welt, und jetzt rate mal, welcher Papi
ihm diesen Namen gegeben hat?«
»Du machst
mich wahnsinnig. Wer schon?«
»Strocka.«
»Du meinst
den Nazi aus dem Prozess?«
»Korrekt«,
sagte Martin und betonte diese Bestätigung ausdrücklich. »Keller war der Sohn von
Strocka, kam in Steinhöring zur Welt und war zumindest ein Halbbruder seiner Patientin
Emilie Braun, die als Hedwig Strocka in den Akten stand, die ich bei Keller in dessen
Schreibtisch gefunden habe. Begreifst du? Damit wird vieles klar. Hans Keller alias
Siegfried Strocka kommt, nachdem das Lebensbornheim aufgelöst wird, in eine Pflegefamilie
mit Namen Keller. Ein absoluter Allerweltsname. Die alten Papiere sind futsch, wie
bei Tausenden anderen auch. Er selbst vielleicht zu jung, um seine Herkunft zu kennen
oder sich an sie zu erinnern. Er macht etwas aus seinem Leben, wird von seinen Pflegeeltern
aufrichtig geliebt und gefördert. Man finanziert ihm sogar später das Medizinstudium.
Irgendetwas treibt ihn dazu, den Facharzt für Psychiatrie zu machen. Er will kein
Internist oder Ohrenarzt oder Augenarzt werden, sondern Seelenklempner. Vielleicht,
weil er spürt, dass es da etwas aufzuräumen, irgendwas zu klären gibt. Nehmen wir
an, seine Eltern sagen ihm eines Tages, dass er nicht ihr richtiger Sohn ist, sondern
adoptiert wurde, dass er in einem Lebensbornheim zur Welt kam, dass seine Eltern
unbekannt sind und so weiter und so weiter. Hans Keller aber ist intelligent. Er
gibt sich nicht damit zufrieden. Er will wissen, wer seine richtigen Eltern sind
und ob er vielleicht noch mehr Geschwister hat.«
»Emilie
Braun, seine Patientin.«
»Genau.
Ich bin erst ganz am Anfang dieses Puzzles. Und es sind letztlich alles noch Hypothesen,
aber es sind recht schlüssige Vermutungen, findest du nicht?«
»Aber wie
ist Frau Braun zu Keller in die Klinik gekommen? So viele Zufälle kann es doch gar
nicht geben.«
»Sollte
man annehmen, und doch wundert man sich immer wieder, was alles gar kein Zufall
sein kann. Du weißt doch, das Leben schreibt die unglaublichsten Geschichten. Wissen
wir, wer in diesem Universum die Fäden jedes Einzelnen in Händen hält?«
»Sag bloß,
jetzt wirst du noch religiös?«
»Na, wie
würdest du dich denn fühlen, wenn ein Killer in deiner Wohnung herumspaziert mit
der Absicht, dich wegzupusten, und es dann doch nicht tut. Ich mach mir halt so
meine Gedanken. Das mit Emilie muss ich noch recherchieren. Professor Keller hat
sich jahrelang mit dem Thema Lebensborn beschäftigt, wahrscheinlich auch, um sich
selbst ein wenig zu therapieren oder einfach nur, um zu verstehen. Irgendwann hat
er herausgefunden, wer Emilie Braun wirklich ist und hat vielleicht ihre Verlegung
veranlasst. Der Bruder, der sich um seine Schwester kümmern will. Wäre doch verständlich,
oder?«
»Meinst
du, sie wusste, wer Keller wirklich war?«
»Glaub ich
nicht. Vielleicht hätte sie unter diesen Umständen nicht in der Klinik bleiben dürfen.
Immerhin wurde sie auf Staatskosten therapiert. Hätte man
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