Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
seiner Nachbarin,
eine Tür neben ihm im selben Haus. Die ältere Dame verließ aufgrund eines Gehfehlers
nie das Haus, sodass er sicher sein konnte, dass der Postbote nicht unverrichteter
Dinge wieder abziehen musste, wenn er Martin nicht zu Hause antreffen würde. Dann
fragte er noch: »Haben Sie mir die anderen Daten von Professor Keller ins Präsidium
gefaxt?«
»Ja, gleich,
nachdem wir gestern Abend telefoniert haben.«
»Gut. Sie
sind wirklich spitze, Frau Kassner.« Ingeborg errötete am anderen Ende der Leitung.
Das Lob erhellte ihre Stimmung gewaltig. »Danke, Herr Pohlmann. Jederzeit gern.«
»Sagen Sie
das nicht zu laut. Möglicherweise bin schneller wieder bei Ihnen, als Ihnen lieb
ist.«
Martin beendete
das Gespräch, knöpfte die Jacke bis zum Hals zu und verließ die Wohnung. Diesmal
dachte er an alle Schlösser, drehte den Schlüssel drei Mal um und fuhr zum Präsidium.
Dort angekommen,
erreichte er sein Büro eigenartig unauffällig. Niemand brüllte ihm hinterher oder
zitierte ihn zum Chef. Er setzte sich an den Schreibtisch, verursachte binnen Sekunden
eine betriebliche Unordnung, die nach einem Haufen erledigter Arbeit aussah. Er
stützte seinen Kopf auf den Händen auf. Kurze Zeit später erschien Werner Hartleib
im Türrahmen.
»Hi, Martin.
Wie geht’s dir? Siehst besser aus.«
»Komm, lass
gut sein. Verarschen kann ich mich allein.«
»Nein, echt.
Welche Drogen hast du diesmal genommen? Du siehst blendend aus.
»Okay. Ich
erzähl’s dir.«
»Ah. Habe
ich es doch gewusst. Also, was war es diesmal?«
»Die Wahrheit«,
sagte Martin kurz und grinste dabei über das ganze Gesicht.
»Welche
Wahrheit?«
»Tja, wie
soll ich es dir sagen. Ich hatte heute Morgen so etwas wie eine Erleuchtung. Mir
ist klar geworden, dass ich keine Schuld am Tod von Sabine habe. Es ist einfach
passiert. Vielleicht hätte ich es verhindern können, indem ich langsamer gefahren
wäre, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war ihre Uhr einfach abgelaufen. Was
können wir schon tun, um das Leben zu verlängern oder es zu verkürzen?«
»Na ja«,
protestierte Werner. »Man kann schon einiges tun. Gesund leben. Nicht rauchen, nicht
saufen. Wenn ich mich morgen von der Brücke stürze oder mir eine Kugel in den Kopf
jage, habe ich mein Leben beendet. Basta.«
»Schon möglich.
Vielleicht fällst du aber nicht tief genug oder tauchst so geschickt ins Wasser
ein, dass du nicht draufgehst. Oder deine Knarre hat Ladehemmung oder sonst irgendwas.
Verstehst du, was ich sagen will? Wenn du noch nicht sterben sollst, kannst du machen,
was du willst, du stirbst einfach nicht.«
Werner legte
den Kopf schief und bedachte seinen Freund mit einem sonderbaren Blick. »Du bist
auf einem merkwürdigen Trip, das ist dir schon klar?«
»Warte.«
Martin hob beschwichtigend beide Hände. »Denk mal an die alte Frau im LKH. Die hat
schon zigmal versucht, sich umzubringen. Und? Ist sie tot? Nein. Ich sag dir, die
stirbt nicht eher, bis sie nicht irgendetwas ganz Bestimmtes erledigt oder erlebt
hat oder so.«
Werner raufte
sich das Haar. »Mein Gott. Wie kommt man auf solche Gedanken?«
»Ich sag’s
dir, mein Lieber. Gestern Nacht hatte ich wieder mal Besuch. Ich kam mit einer dicken
Mappe voller Computerausdrucke aus Berlin zurück, gespickt mit Infos über die drei
Typen von der SS, außerdem einige Familiendaten zu den Lebensbornleuten, die sie
vermutlich selbst noch gar nicht kannten, weil sie brandneu eingetroffen waren.«
Werner warf
die Stirn in Falten und hob an, etwas zu sagen, doch Martin schnitt ihm die Worte
ab. »Ich vermute, dass der Typ, der schon einmal letzte Woche bei mir hereinspaziert
kam, erneut da war. Die Sicherheitsschlösser waren ein Witz für ihn. Der ist seelenruhig
in meiner Bude ein- und ausgegangen und war sogar in meinem Schlafzimmer.«
»Woher willst
du das denn wissen?«
»Ich weiß
es einfach. Er hat den Geruch eines äußerst penetranten Rasierwassers hinterlassen.
Und er hat noch etwas dagelassen.« Martin machte eine Pause und schaute aus dem
Fenster. »Sein Markenzeichen!«
»Bitte,
was? Du spinnst.«
»Nein, tue
ich nicht. Ich hab eine ganze Weile gebraucht, bis ich das kapiert habe. An der
Stelle, wo ich die Unterlagen hingelegt hatte, lag eine kleine weiße Feder.«
»Eine Feder?«
»Genau.
Eine makellose weiße Feder. Und soll ich dir was sagen? So eine oder eine ähnliche
hat bei jedem Toten in der Nähe gelegen, zumindest bei denen, die gestorben sind,
nachdem ich aus Ecuador
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