Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
die in Heimen aufwachsen
und nie ihre Eltern kennenlernen oder den Vater, der kurz nach der Geburt, wie man
so schön sagt, die Kurve kratzt. Meine Herren, ich bitte Sie. Es gibt weit schlimmere
Schicksale als meins. Ich bin gesund, habe 70 im Großen und Ganzen gute Jahre genossen
und meinen Frieden darin gefunden, dass ich einen Vater im Himmel weiß, der mich
liebt und der mich offenbar gewollt hat. Sonst wäre ich nicht hier.« Feldmann machte
eine Pause und schnaufte hörbar. Das Gespräch schien ihn anzustrengen.
Versöhnung
mit der Biografie, murmelte Martin vor sich hin. So eine Formulierung hatte er noch nie
gehört und beschloss, darüber nachzudenken.
Werner unterbrach
die Stille. »Ich muss da noch einmal nachhaken. Wir waren gerade dabei, nach einem
Motiv zu suchen. Haben Sie einen Verdacht, der uns weiterhelfen könnte?«
»Na ja,
ein Verdacht wäre zu viel gesagt. Wenn das stimmt, was Hans da herausgefunden hat,
dann ist die Sache am Ende relativ einfach. Wegleiter ist ein Kriegsverbrecher,
dessen Schuld bisher nie bewiesen wurde und der noch frei herumläuft. Das Gleiche
gilt für Dr. Fürst. Strocka ist seinem Schöpfer bereits gegenübergetreten. Man muss
es ganz nüchtern sehen. Sollte es stimmen, dass wir die Söhne und Töchter von Kriegsverbrechern
sind, hätten diese Männer selbst nach so vielen Jahren wieder ein Problem. Wir,
die vergessenen Kinder, tauchen plötzlich auf und gefährden ihr Leben. Klingt ziemlich
brutal, oder?« Feldmann blickte in die erstaunten Gesichter der Ermittler. »Ach,
auch darüber braucht man sich nicht zu wundern. Täglich bringen Väter irgendwo auf
der Welt in einem dämonischen Wahn ihre Kinder oder die ganze Familie um. Die Welt
liegt im Argen, meine Herren, das dürfte Ihnen doch nicht fremd sein, oder?«
Werner nickte.
»Sie haben recht. Manchmal hasse ich unseren Job. Verstehen kann man vieles schon
lange nicht mehr.« Werner machte eine Pause, in die Martin einsprang.
»Sind Sie
nicht neugierig, wer dieser Wegleiter ist? Was wäre, wenn er tatsächlich Ihr Vater
ist?«
Feldmann
rieb sich am Kinn. »Ich weiß von vielen in einem Lebensbornheim geborenen Menschen,
die erst dann zur Ruhe kamen, wenn sie Namen in den Händen hielten. Den Namen des
Vaters und den der Mutter. Manche Mütter ließen sich aufspüren, wollten aber keinen
Kontakt zu ihrem Kind. Sie hatten ihr ganzes Leben ohne diese Kinder eingerichtet
und waren nun zu alt, zu stur oder einfach nur zu ängstlich, die Sache wieder aufzurollen.
Andere wiederum waren überglücklich, nach so vielen Jahren, auch der eigenen Suche,
ihr Kind im Arm halten zu können.«
»Könnte
es nicht genauso gut sein, dass Sie und die anderen zwar nichts von ihren Vätern
wussten, aber die Väter schon seit Langem Kenntnis davon hatten, wer ihre Kinder
sind?«
»Daran habe
ich auch schon gedacht. Ich habe diesen Gedanken einmal in unserer Runde ausgesprochen.
Die meisten waren schockiert. Die Vorstellung, dass ein Vater seine Kinder, die
er für den Führer gezeugt hat, beobachtet, weiß, was sie machen, welche Enkelkinder
er hat, wie sie sich entwickeln und so weiter – das ist schon grausam und unmenschlich.«
»Eine Frage
habe ich noch, bevor wir Sie verlassen«, sagte Werner. »Glauben Sie, dass Keller
in der Lage gewesen wäre, Gerhard Strocka, also seinen Vater, umzubringen?«
»Nun, ich
bin kein Psychologe. Ich denke, wenn ein Mensch provoziert wird und nicht mehr Herr
seiner Vernunft ist, ja, dann kann er solch eine Tat begehen. Auch Keller wäre dazu
fähig gewesen. Ich weiß von dem Verdacht. Er hat mal eine Bemerkung fallen lassen,
als er ausnahmsweise ein Glas Wein getrunken hatte. Keller konnte überhaupt keinen
Alkohol vertragen, und ausgerechnet ich hatte ihn zu einem wirklich guten Tropfen
verführt.« Feldmann schmunzelte. »Ich wusste nicht, dass ein kleines Gläschen eine
solche Wirkung haben kann. Er faselte etwas von einer großen Schuld, die er auf
sich geladen hätte, und wie er überhaupt Gott gegenübertreten könne. Er glaubte
ja gar nicht an Gott. Ich möchte sogar sagen, er hatte Angst vor ihm. Ich wollte
ihn ermutigen, sein Herz zu erleichtern, seine Schuld zu beichten, damit ihm vergeben
werden könne, aber er meinte, so etwas kann man einem Menschen nicht vergeben. Jetzt
weiß ich, dass es der Vatermord gewesen sein könnte, den er meinte.« Feldmann schüttelte
den Kopf. »Trotzdem. Nein, ich glaube nicht, dass er es war. Die Zeitungen haben
berichtet, dass der Schädel von
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