Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Gerüchte um diese Gebäreinrichtungen.
Für die einen war es ein nationalsozialistisches Edelbordell, für die anderen ein
Ort, an dem die sogenannte gelenkte Fortpflanzung ermöglicht wurde, und so weiter.
In Wirklichkeit war es aber auch so, dass schwangere Frauen von einer Abtreibung
abgehalten werden sollten. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Kinder anonym
zu gebären. Selbstverständlich steckte auch der Gedanke Himmlers dahinter, das kostbare
Blut seiner elitären SS-Männer weiterleben zu lassen und zwar ohne Rücksicht auf
ethische und religiöse Gesichtspunkte. Es sollte keine Rolle spielen, ob das Paar
nun verheiratet war oder nicht. Wichtig war nur, dass sie selbst und natürlich der
Nachwuchs, gemäß der herrschenden Rassenpolitik, arischen Gesichtspunkten entsprachen.
Offensive Geburtenpolitik nannte Himmler das.«
Feldmann
wandte sich an Martin. »Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen – das ganze Unternehmen
geschah viele Jahre unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit. Die Geheimhaltung
der Geburt erfolgte entweder auf Wunsch des Vaters oder der Mutter oder in beiderseitigem
Einverständnis. Zu diesem Zweck umschiffte man ohne große Mühe bestehende Gesetze.
Zum Beispiel richtete man innerhalb der Lebensbornheime eigene Meldestellen ein,
um die polizeiliche Meldepflicht zu umgehen. Sogar ein heiminternes Standesamt wurde
eingeführt. Den Schwangeren empfahl man, der Heimatgemeinde mitzuteilen, man sei
auf Reisen. Oder sie wurden ermutigt, sich auf entsprechenden Formularen als verwitwet
oder geschieden zu bezeichnen.«
»Jede Mutter
musste doch sicherlich ihre Adresse angeben?«, fragte Werner.
»Auch dieses
Problem wusste man zu lösen. Für die Korrespondenz wurden die Adressen von Sachbearbeitern
oder SS-Führern bereitgestellt. Selbst vollständig neue Identitäten waren an der
Tagesordnung. Die Hauptsache bestand darin, so viel wie möglich zu verschleiern.
Daher existieren noch heute oft nur vage Vorstellungen über den Lebensborn, obwohl
schon vieles historisch fundiert aufgearbeitet wurde.«
»Na gut.«
Martin räusperte sich. »Wenn Mütter ihre Identität nicht preisgeben konnten, das
kann man noch verstehen, aber die Väter gingen mit den von ihnen gezeugten Kindern
ja auch Verpflichtungen ein. Man kann doch nicht so mir nichts, dir nichts seine
Identität ändern.«
»Der Vater,
der das Kind gezeugt hatte, übertrug das Vormundschaftsrecht dem Lebensbornheim,
und wenn er nicht wollte, dass man von seiner Vaterschaft erfuhr, dann regelte der
Lebensborn dies, gern auch mal außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen. Die Heimleitung
kam der Meldung an das Vormundschaftsgericht nicht nach. Das Kind gab es somit offiziell
gar nicht. Wenn ein angehender Offizier oder ein hochrangiger SS-Mann in seiner
Karriere durch die Geburt eines unehelichen Kindes behindert war, regelte man dies
sehr unbürokratisch. Nur gelegentlich wurden Geburtsurkunden ausgestellt. Normalerweise
waren ja die Jugendämter gehalten, die Unterbringung unehelicher Kinder in Heimen
oder sonstigen Pflegestellen zu genehmigen und vor allem zu überwachen und Akten
über den Zustand des Kindes und dessen Lebensbedingungen anzulegen. Diese Aufgaben,
die eigentlich dem Wohl des Kindes dienen sollten, konnten nicht erfüllt werden.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt war der Lebensborn nicht mehr kontrollierbar. Das
Zauberwort hieß Sonderregelung. Für jeden Umstand wurden Regelungen erdacht, von
Himmler und zum größten Teil von Hitler abgesegnet und damit der normalen Gesetzgebung
entzogen. Leider hatten die Kinder durch diese Politik der maximalen Verschwiegenheit
einen hohen Preis zu zahlen, wie wir heute am eigenen Leib merken.« Feldmann schluckte
und fügte hinzu: »Offiziell gibt es mich gar nicht.«
Werner nahm
die Tasse zur Hand und genoss den Duft des Darjeeling-Tees. »Und doch scheint es
noch Unterlagen zu geben. Keller hat ja eine Menge davon gefunden.«
»Bei Kriegsende
haben die Nazis eine übereilte Vernichtungsaktion der Lebensbornkarteien gestartet.
Doch in der Kürze der Zeit konnte man eben nicht alles vernichten. Manche Unterlagen
waren im Land verstreut. Wenn Kinder verlegt wurden, wurden auch die Akten den Kindern
mitgegeben, oder wenn sie in ein Krankenhaus mussten, ebenfalls. Bei Kriegsende
wurden Akten in Kisten verfrachtet, vergraben und später gefunden. Amerikanische
Kommandos haben so viele Unterlagen geborgen, dass es Jahre dauerte, sie zu katalogisieren.
Nachdem die Amis von den
Weitere Kostenlose Bücher