Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
unser Angebot anzunehmen. Der Mörder scheint zu allem entschlossen,
und bisher tappen wir noch ein wenig im Dunkeln.« Werner deutete mit dem Finger
auf die Headline der Zeitung. »So ganz unrecht hat dieser Schmierfink nicht. Vor
allem brauchen wir das alles entscheidende Motiv, und dabei könnten Sie uns vielleicht
helfen. Die Frage, die uns unter den Nägeln brennt, lautet: Was treibt den Mörder
an, die ehemaligen Kläger eines Prozesses, der zwei Jahre zurückliegt, umzubringen?
Wem stehen Sie zum Beispiel im Weg, Herr Feldmann?«
Der Angesprochene
schlug die Beine übereinander. Er hatte genau über diese Frage nachgedacht, und
als er zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen war, hatte er aufgegeben. Er hatte
beschlossen, die Sache, gemäß seines Glaubens, in Gottes Hand zu legen.
»Ich habe
natürlich auch nur Vermutungen. Am besten fang ich von vorn an. Vor drei Jahren
bekam ich einen Brief von Professor Keller. Er lud mich ein, an einem Treffen mit
anderen in Lebensbornheimen geborenen Menschen aus dem norddeutschen Raum teilzunehmen.
Das Treffen sollte in dem Seminarraum eines Hotels in Hamburg an der Alster stattfinden,
und da ich nichts Besseres vorhatte, ging ich hin. Keller und ich waren uns auf
Anhieb sympathisch. Seine offene Art war sehr herzlich. Gut, ein wenig verschroben
war er auch, aber ich denke, das ist für einen langjährigen Psychiater ganz normal.
Zunächst dachten wir alle, es sei sein psychologisches Fachgebiet, Menschen wie
uns zu betreuen. Leute, die nichts von ihren Eltern wissen und sich irgendwie in
Bezug auf ihren Stammbaum amputiert fühlen.« Feldmann nahm einen Schluck Tee und
behielt die Tasse eine Weile in der Hand. Er genoss die Wärme, die von ihr ausging.
»Manche
nahmen seine Hilfe an, und es fanden Gespräche statt, in denen Keller die Kindheit
und Jugend mit den Betreffenden aufzuarbeiten versuchte. Aber es sollte nicht bei
einem Treffen bleiben. Was anfangs wie eine Art Selbsthilfegruppe aussah, entwickelte
sich zunehmend in eine andere Richtung. Er fragte uns, ob wir nicht wissen wollten,
wer unsere Eltern seien, und man, falls man sie ausfindig machen könnte, Gerechtigkeit
einfordern sollte.«
»So hat
er es ausgedrückt?«, fragte Werner.
Feldmann
nickte. »Er hatte Jahre vorher Nachforschungen angestellt, so wie einige der anderen
auch. Ursula Seifert und ihr Mann zum Beispiel waren im ganzen Land herumgereist,
hatten in Archiven, Kirchenbüchern, Standesämtern und dergleichen Akten und Unterlagen
zusammengetragen. Keller hatte dies auch gemacht und war dabei sehr erfolgreich.
Bei jedem Treffen hatte er mehr Unterlagen dabei.«
»Worum ging
es Keller in dem Prozess?« Martin rückte dichter an Feldmann heran.
»Tja, das
ist nicht ganz leicht zu sagen. Ich glaube, er wusste es selbst nicht so genau.
Er war besessen von dem Gedanken, uns unbedingt helfen zu müssen. Er fühlte sich
uns gegenüber aus irgendeinem Grund verpflichtet, die Wahrheit herauszufinden.«
»Das klingt
schon fast nach einem Helfersyndrom.«
Feldmann
dachte einen Herzschlag lang nach. »Wäre nicht ungewöhnlich für einen Arzt. Aber
ich bin davon überzeugt, es war mehr. Er fühlte sich berufen, einen Prozess gegen
den Staat Deutschland zu führen, um Wiedergutmachung zu erlangen. Er wollte das
Thema Lebensborn in der Bevölkerung wachhalten, und das war ihm ja auch vortrefflich
gelungen. Plötzlich berichteten die Zeitungen über uns, ob wir wollten oder nicht.
Wir waren nur eine kleine Gruppe, doch wir sollten eine Art Exempel statuieren.
Keller wollte uns helfen, unsere Identität zu finden und glücklich zu werden.« Feldmann
rutschte auf dem Sessel nach vorn. »Er freute sich, endlich, nach all den Jahren
des Suchens, ein paar Namen gefunden zu haben.«
Martin wurde
nachdenklich. »Warum, um alles in der Welt, ist es bloß so schwierig, die Vergangenheit
von Menschen zu rekonstruieren. Heutzutage ist alles katalogisiert und archiviert.
Ich war in Berlin und habe dort Unmengen von Akten angesehen. Ich habe gedacht,
es wären so viele, dass dort jeder Bürger dieses Planeten aufgelistet sein müsse.«
»Sie meinen
das Bundesarchiv?«
Martin nickte.
»Hans hat
viel davon gesprochen. Er war einige Male dort. Nun, ich glaube, das Problem liegt
einfach darin, dass die Nazis bemüht waren, all ihre Aktivitäten so geheim wie möglich
zu halten, und dazu gehörte eben auch die Idee der Lebensbornheime. In der Bevölkerung
wusste kaum jemand davon und wenn, dann wucherten wilde
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