Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
berührt hat, war, als Feldmann
ihn im Knast besucht hat. Von Feldmann kam kein Wort der Anklage, keine Wut, kein
Hass, nichts.« Werner schüttelte den Kopf und beobachtete, dass auf den Eisschollen,
die sich am Strand gebildet hatten, die Kristalle darauf wie Millionen kleiner Diamanten
in der Sonne glitzerten. Werner dachte nach und sagte: »Das ist für mich eine nicht
nachvollziehbare Reaktion. Der alte Wegleiter war völlig perplex, als Alois ihm
Vergebung zusprach. Stell dir vor, der alte Knochen hat sogar geheult. Todkrank,
ein skrupelloser, mehrfacher Mörder, über 90 und heult wie ein kleiner Junge.« Martin
vergrub die Hände in den Taschen. In der Eile hatte er die Handschuhe vergessen.
Werner fuhr
fort. »Das Erstaunliche ist, dass es Alois in erster Linie nicht um Geld oder Entschädigung
geht, sondern um Anerkennung, um die Bestätigung seiner Identität. Ich kann nicht
begreifen, wieso er das macht. Dir hat er erzählt, es reicht ihm zu wissen, dass
Gott als Vater ihn liebt, und jetzt das.«
»Er hat
mich letzte Woche besucht. Er hat es mir erklärt.«
»Schieß
los.«
»Er macht
das, damit die ganze Arbeit und Mühe von Keller nicht umsonst gewesen war. Es waren
Kellers Recherchen und Unterlagen, die Feldmanns Vater überführt haben, und Alois
dachte, er sei es Keller schuldig, dies in seinem Sinne durchzuziehen. Er sagte,
das sei seine Art, jemanden nach dem Tod zu ehren. Sein Werk fortzuführen, verstehst
du?«
»Na ja.
Wie es aussieht, wird er auf seine alten Tage trotzdem noch reich werden. Wegleiter
wird keine 100 werden.«
»Und wie
ich ihn einschätze, wird Feldmann das Geld nicht behalten wollen. Er hat so etwas
angedeutet, als er hier war. Vielleicht 100.000 für seine Reisen oder ein neues
Wohnmobil, aber sicher keine Millionen. Es gibt eine Stiftung in Bremen, die sich
der Rechte der Lebensbornkinder angenommen hat. Denen möchte er eine stattliche
Summe zukommen lassen.«
Werner inhalierte
einen tiefen Zug salzhaltiger Meeresbrise. »Hast du schon das Neueste von Emilie
gehört? Nein, hast du nicht. Wie auch.«
Pohlmann
sah ihn entgeistert an. »Was ist passiert? Sie hat doch nicht etwa versucht …?«
Werner wiegelte
ab. »Nein, nein. Keine Sorge. Im Gegenteil. Sie liebt das Leben mehr denn je. Sie
hat geerbt.«
»Was hat
sie?«, brüllte Martin gegen den Wind an.
»Sie ist
offiziell als Hedwig Strocka anerkannt worden. Nachdem du mit deinen Unterlagen
aus Berlin, die du ja noch gar nicht kennst, einen solchen Wirbel verursacht hast,
hat man zusätzlich einen genetischen Abgleich mit Strocka gemacht und sie eindeutig
identifiziert.«
»Stopp mal.
Wie hat man das angestellt? Strocka ist seit über zwei Jahren tot.«
»Man hat
ihn exhumiert, ganz einfach.« Werner sagte es so, als würde er den Wetterbericht
wiedergeben.
»Das ist
der Hammer! Ich glaub es nicht. Genehmigungen für Exhumierungen dauern sonst Monate.«
»Wir haben
einen guten Richter erwischt, der sofort alles in die Wege geleitet hat. Aber das
Beste kommt noch. Gerhard Strocka hatte ein Nummernkonto in der Schweiz, und über
die Jährchen hat sich mit Zins und Zinseszins ein ordentliches Sümmchen angesammelt.
Nun rate mal, wem das alles zugute kommt.«
»Hans Keller
und Emilie, also Hedwig.«
Werner nickte.
»Emilie ist Alleinerbin.« Werner schnalzte mit der Zunge. »Das nenn ich ausgleichende
Gerechtigkeit. Sie kriegt 2,6 Millionen Euro. Und da sie nicht entmündigt ist, kann
sie frei darüber verfügen.«
»Mensch,
Werner. Ich werd verrückt. Was soll sie denn damit anstellen? Sie hat keine Ahnung,
wie man mit Geld umgeht. Man wird sie bei jeder Gelegenheit übers Ohr hauen.«
Werner grinste
verschmitzt. »Das stimmt. Deswegen hat sie dich ja auch als privaten Vermögensverwalter
bestimmt.« Martin blieb augenblicklich stehen. Die Möwen kreischten, als sie um
seinen Kopf herumflogen, auf der Suche nach Essbarem.
»Mich?«,
rief er viel zu laut. »Ich soll ihre Millionen verwalten?«
»Für ein
Monatsgehalt von 6.000 Euro kann man das doch mal machen, oder? Ich hab die Papiere
dafür im Wagen. Hast du etwa gedacht, ich besuch dich bei dieser Kälte aus reiner
Freundschaft?«
Martin und
Werner gingen einen halben Kilometer schweigend nebeneinander her. Martin brauchte
Zeit, um die Nachricht zu verarbeiten. Ein zusätzliches Jahreseinkommen von 72.000
Euro für Verwaltungstätigkeiten. Nach einer Weile des Grübelns sagte er: »Das ist
viel zu viel. Das kann ich nicht annehmen.«
»Wenn du
es
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