Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
heißt,
alles ist offen.« In Martins Blick war Resignation zu entdecken. »Versprich mir,
dass du am Ball bleibst. Lorenz würde auch nicht aufgeben, wenn er noch auf seinem
Posten wäre. Apropos. Wie geht es ihm eigentlich?«
Werner drehte
sich um und lächelte Martin an. »Gut geht’s ihm. Ich soll dich grüßen. Er macht
täglich Fortschritte, schmachtet nach Zigaretten, die ihm dieser Dragoner von Schwester
aus dem Mund schlägt. Er wird wieder ganz der Alte werden, das steht fest. Wird
noch ein paar Monate dauern, aber er schafft es.«
Martin nickte.
»Das ist doch mal ’ne gute Nachricht. Bitte grüß ihn auch, wenn du ihn besuchst.«
»Mach ich.«
»Wie läuft
die Arbeit unter Schöller zurzeit?«
Werner nickte
nachdenklich. »Ganz okay. Er ist ruhiger geworden. Bisweilen sogar verschlossen
und wirkt geistesabwesend, als würde er an einer Sache arbeiten, die nicht jeder
mitkriegen soll. Na ja. Ich werd aus ihm eh nicht schlau. Er ist ziemlich launisch.«
Werner verschränkte
die Arme vor der Brust. Die Jacke, die er trug, wärmte nicht genug. »Eine interessante
Sache hab ich aber noch, bevor ich wieder los muss.«
»Erzähl.«
»Du wolltest
doch immer wissen, warum Strocka umgebracht worden ist? Ich hab da so meine Theorie.«
Nun hatte er Martin neugierig gemacht. Das letzte Puzzleteilchen in dem verworrenen
Spiel schien vielleicht gefunden worden zu sein.
»Deine Frau
Kassner war ziemlich fleißig. Sie hat alles zu dem Namen Strocka ausgegraben. Ich
könnte dir jetzt eine ziemlich lange Geschichte erzählen, aber mir frieren allmählich
die Beine ab, daher heute nur die Kurzversion, okay?«
Er hatte
Martins volle Aufmerksamkeit.
»Gerhard
Strocka war nicht rein arisch! Um es kurz zu machen, seine Großmutter war Jüdin.
Wäre herausgekommen, dass seine Tochter eine Erbkrankheit gehabt hatte, hätte man
Ahnenforschung angestellt und diesen nicht ganz unbedeutenden Umstand herausgefunden,
und dann wäre Strockas Karriere zu Ende gewesen. Das war vermutlich der Grund, warum
Emilie damals von Steinhöring umziehen musste. Sie ist nach Lüneburg gekommen, ausgerechnet
dorthin, wo sein Freund Richard Fürst seine Doktorarbeit schrieb. Vielleicht hat
Fürst die Verbindung von Strocka und Emilie herausbekommen, nur nach dem Krieg war
die Angelegenheit nicht mehr von Belang. Trotzdem wurden Wegleiter, Fürst und Strocka
nach dem Krieg zu erbitterten Feinden, sodass Wegleiter und Fürst ihr ganzes Leben
lang damit rechnen mussten, von Strocka verpfiffen zu werden. Und dann kam dieser
Prozess, den Professor Keller angeleiert hatte. Er hatte bei seinen Recherchen,
die sich noch im Anfangsstadium befanden, herausgefunden, dass Strocka eventuell
als Zeugungshelfer gedient hatte und wollte ihn als Zeugen laden lassen. Strocka
lebte mittlerweile im Altenheim und war Alkoholiker. Es stand zu befürchten, dass
Strocka im Suff alles, was er über Wegleiter und Fürst wusste, ausplauderte.«
»Deshalb
musste er sterben«, beendete Martin den Vortrag Werners. »Dann müssten aber doch
Wegleiter und Fürst senior die Auftraggeber des Mordes an Strocka gewesen sein und
nicht die Söhne.«
Werner zuckte
die Achseln. »Ich schätze, das werden wir nie herausfinden. Dräger ist tot und kann
uns nicht mehr sagen, wer ihn dazu beauftragt hat. Die Väter oder die Söhne.«
Martin versank
in einem Tal trübsinniger Gedanken. Dräger, Dräger, Dräger. Er hörte immer wieder
diesen Namen, den er am liebsten so schnell wie möglich vergessen wollte. Dräger,
der Auftragskiller, der ihm verraten hatte, wer ihn angeheuert hatte, aber der es
nun nicht mehr vor Gericht bezeugen konnte, und schuld daran war er, Martin Pohlmann.
Hätte er ihn nicht umgebracht, wenn auch nicht mit Absicht, könnten jetzt die Drahtzieher
verurteilt werden. In diesem Augenblick empfand er seine Suspendierung als verdient.
Plötzlich fühlte er sich als alternder Wolf, der seinen Titel ›Bester Bulle des
Nordens‹ nicht mehr verdient hatte. Vielleicht war er tatsächlich nicht mehr der
Alte? Hatte ihn der Burn-out zu sehr verändert, um seinem Job noch gewachsen zu
sein?
In diesem
Moment, bevor er Werner zu seinem Auto begleitete, die Papiere für Emilies Vermögensverwaltung
unterschrieb und den Freund verabschiedete, traf er eine Entscheidung, die sein
Leben verändern sollte.
Epilog
14. Mai 2011, Lüneburg
Sechs Monate nach seiner Rückkehr
aus Ecuador war für Martin Pohlmann die Welt wieder in Ordnung. Seine rechte Schulter
war
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