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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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die Uhr und wippte mit den Beinen. Doch Frau
Braun ließ sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Zeit schien für sie keinerlei
Relevanz zu haben.
    »Nehmen
Sie es mir nicht übel, Frau Braun, aber man sagte mir, Sie wollten mich sprechen,
und … na ja, hier bin ich nun. Was kann ich für Sie tun?« Sie überlegte eine Weile,
dann holte sie durch den offenen Mund Luft und entblößte erneut die Behandlungsbedürftigkeit
ihrer Mundhöhle. Doch in Anbetracht ihrer geschundenen Seele schien dieser Umstand
an Bedeutung zu verlieren.
    » Sie dürfen es lesen«, sagte sie leise, und Martin spürte, wie schwer ihr diese vier
Worte fielen. Entweder weil sie körperlich stark geschwächt war oder weil ihr das
Sprechen generell und nun noch mehr hier und jetzt, angekettet in diesem Bett, Mühe
bereitete.
    »Sie meinen,
Ihr Buch, nehme ich an? Diese Kladde.«
    »Alles.«
    Martin dachte
einen Augenblick nach, ob er etwas in den Unterlagen übersehen hatte. »Was soll
ich denn noch lesen? Ich habe bisher nur Ihr Buch bekommen.« Martin stand von seinem
Stuhl auf und machte einen Schritt auf das Bett zu. Keine Sekunde ließ er sie dabei
aus den Augen und hoffte, dass sie wenigstens flüstern würde. Stattdessen sackte
ihr Kopf abrupt zur Seite weg. Ihre Augen schlossen sich. Schnell trat er neben
sie und hielt seinen Zeige- und Mittelfinger an die faltige Haut über der Halsschlagader.
Zunächst fühlte er gar nichts. Er sah auf den Monitor, an den sie angeschlossen
war, und fürchtete für eine kurze Zeit, dass ihr Suizidversuch doch noch mit zeitlich
versetztem Erfolg gekrönt war. Was wollte sie ihm denn nun sagen? Was sollte er
denn noch alles lesen? Eine dicke, handgeschriebene Kladde mit gut 400 Seiten, Dutzende
von Akten auf seinem Schreibtisch und nun noch … alles …?
    Er schob
seinen Finger einen halben Zentimeter weiter, Richtung Schlüsselbein, und fühlte
schließlich einen schwachen, aber regelmäßigen Puls. Sie schlief offensichtlich
oder war im Koma oder in sonst irgendeinem medizinischen Zustand, mit dem er sich
nicht auskannte. Er öffnete die Tür und verließ das Krankenzimmer. Sogleich trat
Dr. Schillig hinzu.
    »Ich glaube,
sie ist wieder eingeschlafen. Besser, Sie sehen mal nach ihr.« Schillig strebte
an Pohlmann vorbei und betrachtete die Monitore und bemerkte die gleichmäßige Atmung.
Die laienhaft gestellte Diagnose Pohlmanns war korrekt.
     
    Als er das Zimmer der schlafenden
Emilie verlassen hatte, war niemand auf dem Flur zu sehen gewesen.
    Essenszeit.
    Enttäuscht
ging Martin den tristen Anstaltsflur entlang. Das war also der Sinn seiner heutigen
Exkursion ins Reich der Verwirrten. So viele Worte, wie er mit zwei Händen hätte
locker abzählen können, ausreichend für eine einzige SMS. Doch einen Vorteil hatte
das Ganze gehabt: Es gab ihm die Möglichkeit, diesen Ort so schnell wie möglich
wieder zu verlassen.
    Und doch
war er erfreut, Annegret im Schwesternzimmer zu erblicken. Er verlangsamte seinen
Schritt und beobachtete sie einen kurzen Moment. Sie hockte vor einem weißen, quadratischen
Tisch und betrachtete das vor ihr stehende Menü mit Argwohn. Mit der linken Hand
stützte sie ihren Kopf auf und mit der rechten stocherte sie mit einer Gabel in
ihrem Essen herum. Ihre Beine hatte sie unter dem Tisch übereinandergeschlagen und
die rasierten Waden schauten unter dem Schwesternkittel hervor. Alles in allem wirkte
sie frustriert. Aus drei Metern Entfernung betrachtet, sinnierte sie über einem
Einheitsbrei, doch beim Näherkommen konnte man etwas wie Püree, Broccoli und ein
undefinierbares Stück Fleisch voneinander unterscheiden.
    »Na, wie
war’s mit Emmi? Habt ihr Spaß gehabt?«, murmelte sie, ohne aufzusehen.
    »Jetzt weiß
ich, warum sie hier ist.« Martin Pohlmann schüttelte den Kopf, zog einen Stuhl,
der der Schwester gegenüberstand, zurück und setzte sich ungefragt. »Ich kann nicht
gerade sagen, dass es sich gelohnt hat herzukommen.« Außer, dass ich dich getroffen
habe, vielleicht, dachte er, behielt es aber für sich. Er sah hinaus in die
triste Umgebung vor dem vergitterten Fenster.
    »Ich glaub,
ich könnte das nicht. Wie halten Sie es nur hier aus? Den ganzen Tag von Bekloppten
umgeben.« Pohlmann hielt die Hand vor den Mund. »Tschuldigung, war nicht so gemeint.«
    »Nee, ist
schon gut. Sie haben ja recht. Ist auch nicht einfach. Und doch gibt es hier viele
Menschen, die sich gar nicht darüber im Klaren sind, dass sie überhaupt krank sind.
Die leben hier ein

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