Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
besseren Ergebnissen geführt. Manche Dinge brauchen einfach ihre Zeit, und diese
hier besonders.« Pohlmann schlug mit der flachen Hand auf die Akten, die vor ihm
lagen.
»Schöller
ist sauer auf dich.«
»Hab ich
schon gemerkt. Der spinnt doch, der Typ. Ich hab’s nett und friedlich versucht,
aber ich glaube, es ist besser für ihn, wenn er mir die nächsten Wochen aus dem
Weg geht.«
»Na ja,
du musst ihn verstehen. Sein Vater macht ihm die Hölle heiß. Er nimmt den Erfolg
beziehungsweise den Misserfolg seines Sohnes sehr persönlich. Profilneurose nennt
man das wohl. Er sähe es am liebsten, wenn sein Sohn so schnell wie möglich Chef
unserer Abteilung werden würde, doch dafür müsste er erst Lorenz umbringen. Eine
Beförderung unter Umgehung des normalen Dienstweges, verstehst du?«
»Mach keine
Witze. Das ist doch krank, Werner. In Ecuador lief auch nicht alles so wie geplant,
aber solche Ambitionen sind den Menschen dort wirklich fremd.«
»Unsinn.
Das glaube ich nicht, Martin. Du hast nur die Dinge durch deine rosarote Brille
gesehen. Die Menschen sind doch überall gleich auf der Welt: machtbesessen und korrupt.
Wenn es um den eigenen Vorteil geht, gehen alle über Leichen.«
»Dann wollen
wir mal hoffen, dass Schöller friedlich bleibt.« Pohlmann erhob sich widerwillig,
doch er sollte vor der Mittagszeit im LKH gewesen sein, um nicht in die Stunde der
Raubtierfütterung hineinzuplatzen.
»Ich muss
los, Werner. Wir reden später noch mal drüber, okay?« Martin klopfte seinem Freund
auf die Schulter und freute sich, wenigstens einen Verbündeten in Hamburg zu haben.
Die Fahrt ins LKH gab Martin Gelegenheit
nachzudenken. Was bedeuteten die merkwürdigen Andeutungen von Lorenz, dass Frau
Braun sich nur mit ihm unterhalten würde und mit sonst keinem? Warum gerade er?
Was hatte sie denn so an ihm beeindruckt? Hatte er nicht eher das Gefühl gehabt,
dass sie jeden anderen lieber sehen würde als ihn? Wer war er denn schon? Ein Durchschnittsbulle,
der aussah wie ein Relikt aus den 68ern, mit einem derzeit recht großen Vakuum im
Kopf und einem noch größeren in der verwundeten Seele.
Nach einer halben Stunde, in der
er die bereits gelesenen Inhalte der Akten über Frau Braun und Professor Keller
Revue passieren lassen konnte, erreichte er das Landeskrankenhaus.
Es war 12.30
Uhr, und er stellte fest, dass er zu spät war. Essenszeit gegen 13 Uhr. Was sollte
er in einer halben Stunde ausrichten? Obwohl – vielleicht brauchte er nur kurz zu
bleiben und an einem anderen Tag wiederzukommen? Das wäre ihm am liebsten gewesen.
Pohlmann
schritt den langweiligen, grauen Flur entlang, hielt zu seiner Linken und Rechten
Ausschau nach Paule, der ihn schon einmal mit kindlicher Freude angesprungen hatte.
Martin legte keinen Wert auf eine Wiederholung derartiger Späße. In diesem Moment
kam Annegret um die Ecke und hätte ihn beinahe umgeworfen. »Hallo, Herr Kommissar!
Na, Sie schleichen ja hier herum wie ein sedierter Patient.«
Pohlmann
sah sie schockiert an. »Ja, freut mich auch, Sie zu sehen. Wie meinen Sie denn das?«
»Na ja,
die meisten Patienten haben hier keinerlei Eile. Sie schlurfen, so wie Sie gerade,
die Flure entlang und hängen ihren Gedanken nach.«
Pohlmann
nickte.
»Ist schon
eigenartig«, begann sie unvermittelt. »Jahrelang spricht Emmi kein Wort und jetzt
will sie mit Ihnensprechen. Ich hatte gestern nicht gerade den Eindruck,
als wenn sie Sie mögen würde, doch anscheinend habe ich mich da geirrt.«
»Ach was,
das muss gar nichts bedeuten. Wir können doch nicht davon ausgehen, dass Frau Braun
rational reagiert wie ein normaler Mensch. Immerhin sind wir hier in einer …«, Pohlmann
umfasste seine Umgebung mit fahrigen Bewegungen.
»… Klapsmühle«,
lachte Annegret und nahm ihm das unangenehme Wort aus dem Mund.
»Na ja,
gut, meinetwegen. Also schauen wir mal, was mir Frau Braun zu beichten hat.« Martin
wandte sich zum Gehen um. »Ich habe übrigens gestern Abend in Frau Brauns Aufzeichnungen
gelesen. Zwei wirklich – wie soll ich sagen – schöne Gedichte gefunden. Bisschen
düster, aber schön. Überhaupt ist ihr Schreibstil vollkommen anders, als ich es
erwartet hätte. Was sie schreibt, klingt kein bisschen verrückt. Im Gegenteil. Es
klingt …«
»Normal?«,
half ihm Annegret.
»Noch mehr
als das. Eher genial. Doch wenn man sie so sieht und hört.«
Schwester
Kaschewitz blieb stehen, bevor sie die Tür zu Emilies Zimmer erreichten. »Hier,
innerhalb
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