Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
versteuern
musste, meinte er. Im schlimmsten Fall Mietnomaden, die das Haus verwüsteten, laute
ausländische Musik spielten, Safrangestank im Treppenhaus, zahlungsunfähig oder
chronisch säumig. Wenn er sterben würde, würde es keine Erben geben, und eigenartigerweise
gefiel ihm der Gedanke. So etwas konnte man auch keinem Sohn oder keiner Tochter
zumuten, dieses messieartige Chaos zu beseitigen, was zu Lorenz gehörte wie sein
Schatten, egal ob im Büro oder sonst wo. Er würde darin sterben und irgendjemand
müsste hinter ihm aufräumen, dieser Gedanke ließ ihn schmunzeln.
»So, Pohlmann,
ich bin so weit. Kommen Sie her und sehen sich das an.« So begann Lorenz stets zu
dozieren.
»Ich bin
ganz Ohr, Chef. Ich darf Sie aber noch daran erinnern, was sich in meinem eigenen
Büro stapelt und dass ich noch die Kladde der alten Braun komplett durchlesen soll.«
Martin gestikulierte mit seinen Händen, um eine gewisse Dramaturgie zu erzeugen.
Sonst würde Lorenz nie aufhören, den Arbeitsberg zu erhöhen. Nach einem kleinen
Wiedereinstiegsfall sah das schon lange nicht mehr aus.
»Das gehört
alles zusammen, Martin. All das hier ist eine einzige Geschichte, die an uns klebt
wie ’ne Fliege auf’m Scheißhaufen.«
»Netter
Vergleich, Chef. Und? Worum geht es jetzt?« Pohlmann schüttelte amüsiert den Kopf.
Es stand zu befürchten, dass Lorenz auch allmählich durchdrehte. Er wäre nicht der
Erste in diesem Geschäft gewesen.
»So, mein
Lieber. Kurz nach Ihrer Abreise nach Nimmerland, wo Sie sich mit Wendy und den verlorenen
Jungs eine nette Hütte gemietet und mit einem Boot vor der Küste Ecuadors Captain
Hook gesucht haben, hatten wir hier einen nicht ganz unbedeutenden Mordfall. Ist
Ihnen doch recht, wenn ich ganz von vorn anfange, oder?« Lorenz blickte Pohlmann
an und um seine Mundwinkel herum tanzten einige graue Barthaare nach einem schelmischen
Takt.
Es gab Tage,
da konnte man Lorenz’ Zynismus kaum ertragen, doch er brachte ihn nie bösartig hervor,
eher so, dass man, während man ihm zusah, ihn für eine Laienschauspieltruppe empfehlen
wollte.
»Gut, dann
fahre ich jetzt fort. Also, der Mann, der vor zwei Jahren umgebracht wurde, war
im Krieg aktiver Nationalsozialist. Hieß Gerhard Strocka. Liegt alles auf Ihrem
Schreibtisch. Artikel, Medien, alles.«
Pohlmann
nickte und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
»Bis vor
drei Tagen wussten wir ja nichts von einem Tagebuch von dieser Frau Braun, in dem
ihr eigener Psychiater des Mordes beschuldigt wird.«
Lorenz rückte
das Bild von Professor Keller auf dem Flipchart zurecht. Darauf sah man Keller auf
einem Stuhl sitzen, den Kopf schräg nach hinten gelehnt und eine Riesensauerei in
seinem Büro hinterlassend.
Lorenz fuhr
fort: »Okay, ich nehme Ihnen ein wenig Arbeit ab. In diesem Prozess versuchten sechs
Kläger, vier Männer und zwei Frauen, dieselbe Klage durchzuziehen wie seinerzeit
die norwegischen Lebensbornkinder. Sie erinnern sich bestimmt: Leute, die einen
deutschen Soldaten zum Vater und eine norwegische Mutter hatten. Die Klage in Norwegen
ist aus dem Grund abgewiesen worden, weil das Ganze längst verjährt war, aber die
Klage an sich wurde bei Gericht zugelassen. Hier in Deutschland sieht die Sache
ein wenig anders aus. Klagen gegen die Bundesrepublik sind nicht möglich. Also ist
das Ganze abgewiesen worden. Der Medienrummel war trotzdem beträchtlich, zum einen,
weil Keller die Medien schon lange vor dem Prozess heißgemacht hatte, und zum anderen,
weil der alte Nazi als eine Art Zeuge auf der Bildfläche erschienen war, auf den
sich die Fotografen gestürzt hatten wie die Geier auf frisches Aas.«
»Der Tote
im Hotelzimmer?«, warf Pohlmann ein. Lorenz nickte kurz und fuhr fort: »Der Prozess
wurde also abgewiesen. So eine Klage gegen den Staat macht keinen Sinn. Man muss
sich quasi einen anderen Angeklagten aussuchen, den man in dieser Hinsicht verknacken
möchte, was natürlich nicht so einfach ist. Denkbar sind zum Beispiel konkrete Erbrechtsfragen,
um ein legitimes Erbe einzuklagen. Nur ist dies wiederum erst dann möglich, wenn
ein ehemaliges Lebensbornkind seine Eltern genau kennt, und zwar die richtigen,
nicht die Adoptiveltern oder solche, die eine falsche Identität nach dem Krieg angenommen
haben.«
Pohlmann
rieb über seine Wangenhaut. Es klang wie das Abschmirgeln einer rauen Fläche, von
der die Späne, in Pohlmanns Fall die letzten Hautschuppen der Pusteln, zu Boden
rieselten. »Hunderte haben damals ihre
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