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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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etwas Schöneres im Leben als das. Es ist ein Routineeingriff. Das machen
die hier jeden Tag von morgens bis abends. Und wenn du wieder fit bist und wir den
Prozess hinter uns haben, werden wir mit dem Wohnmobil unsere Reise durch Italien
machen. Was meinst du? Davon träumen wir doch seit Jahren.«
    Irgendwann
war es mir zu langweilig. Ich bin dann unter ’nem Vorwand noch mal rein, wollte
ihr Gesicht sehen, bevor sie stirbt.
    »Ist alles
in Ordnung bei Ihnen?«, hab ich sie gefragt. Dann sah ich in ihre Augen. Mann, ich
kenne diesen Blick mittlerweile. Die nackte Angst liest du da drin. Klar, jeder
macht sich Sorgen und hat Ängste. Ist ja normal, aber die?
    »Ich weiß,
es hört sich albern an, aber was ist, wenn ich nicht mehr aufwache? Dann wird es
keine Gerechtigkeit geben.«
    »Schatz,
hör auf damit. Was soll der Prozess mit deinem Blinddarm zu tun haben. Das ist absurd.
Es gibt keine bösen Mächte, die dir ans Leder wollen. Du wirst wieder gesund werden,
ihr werdet den Prozess gewinnen, und wir machen uns mit dem Geld ein tolles Leben,
so einfach ist das.«
    Tja, dass
das eben nicht so einfach ist, dafür sollte ich sorgen. Und es hat ja auch geklappt.
    Dann sah
die Alte wieder aus dem Fenster in den Himmel, als würde sie dort ihre Zukunft verbringen
und nicht an der Seite ihres Mannes. Sie schüttelte den Kopf. »Ja, du hast recht.
So wird es sein.« Sie nickte bestätigend.
     
    Heute Morgen war ich wieder da und
fingerte an ihrer Braunüle herum, tat so, als wolle ich den korrekten Sitz prüfen
und so. Ihr Mann war auch schon da. Hatte kaum geschlafen. Dann ging die Tür des
Krankenzimmers auf, ’ne dralle Krankenschwester kam rein. Sie sah mich so komisch
an und sagte noch: »Sie sind wohl neu hier, was?« Ich lachte dämlich und nickte.
Zeit für mich, zu verschwinden und alles vorzubereiten. »Hallo, Frau S. Na? Sind
wir so weit?«, hörte ich sie. U. S. ließ nur ungern die Hand ihres Mannes los und
fügte sich in ihr Schicksal. Ihr Mann lächelte ihr aufmunternd zu.
    »Möchten
Sie, dass der Arzt Ihnen eine kleine Spritze zur Beruhigung gibt?« Die Alte betrachtete
die Braunüle auf ihrer Handoberfläche und dachte kurz nach, schüttelte aber den
Kopf. »Nein, danke, es geht schon. Ich möchte so lange wach bleiben wie möglich.
Ich krieg doch gleich die Narkose. Und wenn ich zurück bin, ist alles vorbei.«
    »Genau.
Wenn alles gut geht, können Sie schon in einer Stunde wieder mit Ihrem Mann schmusen.«
U. grinste verlegen. Dennoch hatte sie immer noch diese dunkle Ahnung. Ist schon
erstaunlich. Wie, als wenn der Tod ein Anrecht darauf hätte, bemerkt zu werden.
Als wolle er es auskosten, seine Opfer leiden zu sehen.
     
    Die Schwester löste die Bremsen
an U. S. Bett und zog es durch die geöffnete Tür. W. S. blieb stehen und hampelte
von einem Fuß auf den anderen. Ihm ging es beschissen, das sah man gleich. Er ging
an mir vorbei und fasste Vertrauen zu mir. Er fing gleich an zu quatschen. Okay,
dachte ich. Dann erzähl mal schön. Wenn du so eine Plaudertasche bist.
    »Das Leben
könnte so einfach sein, aber meine Frau hat schwere Depressionen.«
    Er hatte
wirklich das Bedürfnis, mit mir zu quatschen. Das hatte ich zwar nicht eingeplant,
kam mir aber nicht ungelegen. Vielleicht könnte ich ihn zu dem Prozess ausquetschen.
    »Ich bin
zwar kein Psychologe«, meinte er, »aber ich akzeptiere, dass Menschen mit einer
traumatischen Kindheit kein unbeschwertes Leben führen und düstere Gedanken haben
können.«
    Er blieb
auf dem Flur stehen und redete auf mich ein. Der kannte mich doch gar nicht, trotzdem
sülzte er mich voll. Ich blieb stehen und sah ihn interessiert an. »Würde es Ihnen
helfen, wenn wir uns kurz in den Wartebereich setzen?«, bot ich ihm an. Ich setzte
mich neben ihn, legte einen mitfühlenden Blick auf und fragte ihn.
    »Worüber
macht sich denn Ihre Frau solche Sorgen? Sie ist doch hier in guten Händen«, log
ich.
    »Nein, das
ist es nicht. Etwas anderes macht ihr Angst.«
    »Ach ja?
Was macht ihr denn solche Angst?«
    »Sie will
einen für sie wichtigen Prozess nicht verlieren. Sie sieht darin ihre letzte Chance.«
    Ich legte
meinen Kopf schief.
    »Was für
ein Prozess?« Nun hatte ich ihn so weit. Die kleine Labertasche.
    »Ihr Therapeut
hat ihr geraten, sich an einer Sammelklage zu beteiligen, wissen Sie?« Ich nickte.
    »Er meinte,
dass Wiedergutmachung die Vergebungsarbeit deutlich erleichtern und einen großen
Schritt hin zur seelischen Gesundung darstellen würde.

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