Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
bemerkte, dass die
Tür nur angelehnt war. Mit einem leichten Stups schob er sie auf und zog intuitiv
seine Dienstwaffe aus dem Halfter. Martin Pohlmann besaß noch seine alte SigSauer
P 6, die seit 30 Jahren in jedem Polizeihalfter steckte. An ihm war der Austausch
seiner Dienstwaffe bisher vorübergegangen. Wie auch, denn 18 Monate zuvor hatten
8.000 Einsatzkräfte in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein eine neue Waffe erhalten.
Dieses neue Modell biete die neuesten technischen Möglichkeiten, hieß es. Eine Waffe,
die über ein Magazin mit 16 statt acht Patronen verfügte, für Links- wie Rechtshänder
geeignet sei und die eine verstellbare Griffmulde statt eines Einheitsgriffs aufwies.
Martin war vermutlich der einzige Bulle im Norden, der mit seiner alten Waffe auf
Verbrecherjagd ging.
Er hielt
die Pistole, wie er es vor vielen Jahren gelernt hatte, und schlich katzenartig
in seiner Wohnung von einem Zimmer zum anderen. Verwüstung und Unordnung begleitete
jeden seiner Schritte. Heruntergeworfene Bücher und Fotoalben, aufgerissene Schubladen
und geöffnete Schränke. Er lauschte und hielt den Atem an, doch er hörte nichts
außer dem Rauschen seines beschleunigten Blutes im Ohr. Was der Einbrecher gesucht
hatte, konnte sich Pohlmann nur schwer vorstellen. In einer muffig riechenden, zwei
Jahre lang unbenutzten Wohnung lagerten keine Schätze.
Nachdem
Martin sichergestellt hatte, dass sich niemand in seiner Wohnung befand, zog er
sein Handy hervor und wählte die Nummer seiner Dienststelle und gleich danach die
des Einbruchsdezernates.
Pohlmann
ließ sich in einen Sessel fallen und betrachtete das Chaos. Es sah aus wie in Lorenz’
Büro, eine Atmosphäre, in der er sich nicht wohlfühlte. Obgleich er ein ungeordnetes,
fast pathologisches Inneres besaß, brauchte er zum Ausgleich eine gewisse räumliche
Klarheit in seiner Umgebung. Etwas, woran sich die gewohnheitsliebenden Sinne orientieren
konnten. Dinge, die zur selben Zeit am selben Platz standen. Pohlmann sank in sich
zusammen, als in dem Moment die Spurensicherung anrückte. Sein Freund und Kollege
Werner Hartleib war gekommen und wollte mit eigenen Augen sehen, was ihm Martin
am Telefon geschildert hatte.
»Ist nicht
mein Tag heute«, beklagte sich Martin.
Werner nickte
und bückte sich zu einem verstreuten Haufen Fotos am Boden, die jedoch noch niemand
anrühren sollte.
»Und? Fehlt
was?«
Martin schüttelte
den Kopf. »Ist noch alles da. Keine Ahnung, was die gesucht haben.«
»Wieso die ?
Meinst du, es waren mehrere?«
Pohlmann
stülpte die Lippen vor. »Schau dich doch mal um. Wir befinden uns hier im dritten
Stock eines alten Jugendstil-Wohnhauses mit zwölf Parteien. Die Türen sind alt,
die Wände zwar dick, aber die Bewohner bestehen überwiegend aus Studenten oder älteren
Leuten, die häufig zu Hause sind. Das Schloss der Wohnungstür ist professionell
aufgebrochen worden und die Suche war zielstrebig. Meiner Meinung nach waren es
zwei unscheinbar aussehende Leute, die keinen Argwohn erregten. Ruck, zuck hier
rein, in Windeseile alles auf den Kopf gestellt und dann wieder raus. Das Ganze
hat garantiert nicht länger als fünf Minuten gedauert.«
Hartleib
hob bewundernd die Augenbrauen. »Ja, da ist er wieder, unser Spürhund. So mag ich
dich.« Er förderte ein Lächeln auf Martins Gesicht zutage.
Pohlmann
dachte nach. »Ich kann mir vorstellen, was sie gesucht haben.« Hartleib bedachte
Martin mit einem fragenden Blick. Pohlmann deutete mit einer Kopfbewegung zu dem
am Boden stehenden Einkaufskorb.
»Du meinst,
die waren hinter den Akten her? Woher, um alles in der Welt, sollte jemand wissen,
dass du an dem Fall dran bist? Außerdem weiß keiner, dass du deine Arbeit mit nach
Hause nimmst. Es sei denn …«
Pohlmann
führte seinen begonnenen Satz zu Ende: »Es sei denn, jemand kennt meine alten Angewohnheiten.«
»Du weißt,
was das bedeutet?«
Pohlmann
nahm eine der Akten zur Hand und blätterte darin herum. »Dass wir einen Maulwurf
im Präsidium haben? Kann ich mir nicht vorstellen, aber möglich wär’s. Wär ja auch
nicht das erste Mal. Immerhin liegt da in der Plastikkiste das gesamte Beweismaterial
der letzten zwei Jahre. Und wenn Lorenz recht hat, dass einer dieser Lebensborntypen
nicht auf natürliche Weise ums Leben gekommen ist, dann haben mich möglicherweise
einige Leute auf dem Kieker.«
»Hör zu,
Martin. Ich bin zwar an einem Haufen anderer Fälle dran, aber wenn du meine Hilfe
brauchst, ruf mich an, okay?«
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