Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
angeblich Selbstmord, und Frau
Braun will sich ständig umbringen.« Lorenz drehte sich zu Pohlmann um und sah ihm
intensiv in die Augen. Pohlmann wollte etwas fragen, doch Lorenz schnitt ihm das
Wort ab. »Kommen Sie zu mir. Jetzt wird’s spannend.« Lorenz genoss die volle Aufmerksamkeit.
»Es gibt leider noch einen Toten.« Lorenz hob die Brauen, um seinem Vortrag mehr
Gewicht zu verleihen. »Ein weiterer Kläger starb einen Tag vor Ihrer Ankunft. Angeblich
nicht durch Fremdverschulden. Der Mann hieß Kurt Sehmrau. Man fand ihn am Montag,
erhängt im Keller einer Schule. War dort Hausmeister. Der Zeitpunkt des Todes war
aber schon Freitagnachmittag. Niemand hat ihn zu Hause vermisst, nur die Schulleitung
fand es sonderbar, dass die Tür zum Keller aufstand und der Wagen vom Hausmeister
noch beziehungsweise schon auf dem Parkplatz vor der Schule stand. Normalerweise
kam er erst gegen zehn.«
Lorenz schnaufte,
dann fuhr er fort: Ȇbrig sind noch ein katholischer Priester, ein Architekt, ein
Künstler oder Schriftsteller – so genau weiß man das nicht –, eine Lehrerin und
unsere Frau Braun.«
Pohlmann
lachte auf. »Das ist echt der Hammer, dass die alte Frau, die ich heute Morgen besucht
habe und die gerade mal zehn oder 15 Worte rausgebracht hat, eine Klägerin gewesen
sein soll.«
»Das hatte
Keller arrangiert. Er hat sich um alles gekümmert. Er war eh der Initiator dieses
ganzen Prozesses. Einerseits war er nur als Gutachter geladen, andererseits hatte
er ein überaus vitales Interesse daran, den Leuten zu helfen und, im besten Fall,
diesen Exnazi verdonnert zu sehen.«
»Das heißt,
von allen Menschen, die damals in diesen Prozess involviert waren, sind schon zwei
tot.«
»Genau«,
bestätigte Lorenz. »Professor Keller und der Hausmeister.«
Pohlmann
ging in dem chaotischen Büro umher und suchte, wie in einem Feld mit Minen, nach
freien Trittflächen. Er stand am Fenster, betrachtete die Hamburger Skyline. »Sie
vermuten aber nicht ein gezieltes Töten der Prozessteilnehmer, oder?«
Pohlmann
hatte in vielen Mordfällen ermittelt und die abstrusesten Motive kennengelernt,
doch dies erschien ihm mehr als unwahrscheinlich. »Chef, das ist absurd. Wir leben
hier in Deutschland und nicht in Chicago oder Italien, wo die Mafia unbequeme Leute
killt. Selbst wenn es entfernt mit einem ehemaligen Nazi zu tun haben sollte, wird
keiner umherspazieren und jeden umbringen, der in alten Zeiten herumstochert. Um
wen handelt es sich denn eigentlich in diesem möglichen neuen Prozess? Wer sind
die oder der Beklagte?« Pohlmann drehte sich um und betrachtete Lorenz, der sich
eine Ladung Nitro-Spray unter die Zunge sprühte. »Geht es Ihnen nicht gut?« Pohlmann
trat zu Lorenz und achtete nicht auf seine Schritte. Die einen oder anderen Akten
wurden von seinen Absätzen platt gedrückt. Lorenz griff sich an die linke Brust
und stützte sich auf der Schreibtischkante ab. Er war aschfahl im Gesicht wie die
Schneewolken, die über ihrem Fenster vorbeizogen.
»Danke,
geht schon. Ich glaube, ich muss ein wenig kürzertreten. Vielleicht hat der Doc
ja recht. Dieser Job bringt mich noch um. Hören Sie, Martin.« Lorenz wandte sich
Pohlmann zu und sah ihn mit einem Blick an, den ein stolzer Vater seinem Sohn schenken
würde. »Sie sind mein bester Mann und ich bin heilfroh, dass Sie wieder da sind.
Sie sind ein Chaot – ja, das stimmt, und irgendwie gar kein richtiger Polizeibeamter,
aber vielleicht mag ich Sie deshalb so, weil Sie nicht so geschniegelt daherkommen
wie Schöller. Sie pfeifen auf alles, was man Ihnen an gutem Benehmen auf der Polizeischule
beigebracht hat, aber Sie haben nun mal die beste Trefferquote im Revier.«
Pohlmann
wurde verlegen und blickte zu Boden. Lorenz war der Einzige, auf dessen Urteil er
wirklich etwas gab. Ein Lob von Lorenz bedeutete ihm mehr als von seinem eigenen
Vater, der ihn eh nie gelobt hatte. Kein Tadel ist schon Lob genug, hatte er immer
gesagt und sich mit diesem Spruch sicher keine Freunde gemacht.
Lorenz richtete
sich mühsam wieder auf. Er schloss einen Herzschlag lang die Augen, trat zu seinem
Flipchart und zeigte auf all die Personen, die daran geheftet waren.
»Tun Sie
mir einen Gefallen, Martin. Lösen Sie diesen Fall! Nehmen Sie meinetwegen Hartleib
als Partner mit, tun Sie, was Sie wollen und wie Sie es wollen, aber tun Sie es,
sonst sitzt eines Tages Schöller auf meinem Platz, und das kann nicht Sinn des Lebens
sein. Da geben Sie mir sicher recht,
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