Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Meine Frau versucht, mit
ihrer Vergangenheit klarzukommen, hat umfangreiche Recherchen zu ihrem Vater angestellt
und manchmal unsere Ehe auf eine harte Probe gestellt.«
»Und worum
geht es in diesem Prozess genau?«
Der Alte
blickte durch mich hindurch. Antwortete gar nicht auf meine Frage.
Dann war
die rührselige Szene vorbei. Als wenn er aufwachen würde, schien er mich erst jetzt
zu bemerken, sah mir fast entsetzt in die Augen, und ich glaube, er ärgerte sich,
dass er mir so viel Vertrauliches erzählt hatte.
Wir sahen
dann noch, wie seine Frau auf dem Flur zum OP-Bereich verschwand. Ich stellte mir
vor, wie es ihr ging: Wahrscheinlich sah sie an der Decke die milchigweißen Neonlampen
vorbeihuschen und roch den sauberen, klinisch reinen Duft von Desinfektionslösungen.
Ihr Bett rollte den Weg entlang, ohne dass sie es hätte aufhalten können.
Dann wurde
es Zeit für mich, meinen Job zu machen. Ich bin ihr also hinterher und holte sie
ein. Sie bemerkte nicht, wie diverse Pfleger oder Ärzte in grünen Kitteln mit Mundschutz
vor dem Gesicht und Hauben auf dem Kopf an ihr vorbeiglitten. Ab jetzt war sie nämlich
nicht mehr U. S., am 14. September 1940 in Steinhöring bei München geboren. Ab jetzt
ignorierte man ihre schwere Kindheit und Jugend, die sie in diversen Kinderheimen
und Pflegefamilien verbracht hatte. Diese Dinge gehörten in eine andere Abteilung.
Seitdem sie die Tür zum OP-Bereich hinter sich hatte, war sie für den Doc und die
Schwestern nur noch ›der Blinddarm‹ aus Zimmer 403, dessen Besitzerin von dunklen
Vorahnungen geplagt wurde, die ihr weismachen wollten, dass sie nie wieder das Licht
der Sonne sehen würde.
Niemand
hätte an diesem Tag geahnt, dass sie damit recht behalten würde, denn dazu war ich
ja schließlich da.
Gleich danach
noch schnell nach Eimsbüttel, ’nen kleinen Bruch gemacht. Kam aber zu früh. Das
Schwein war noch nicht zu Hause. Schade, beim nächsten Mal klappt’s garantiert.
Kapitel 16
Hamburg, 3. November 2010
Martin Pohlmann schlenderte über
diverse Gänge zu seinem Büro zurück. Er hatte es nicht besonders eilig, dort anzukommen,
da er wusste, was ihn erwartete. Alle Aktenordner, geheftete Notizen und Mappen
lagen noch so da, wie er sie verlassen hatte. Was hätte er auch anderes erwarten
können? Dass irgendjemand ihm zu Hilfe kommen und ihm binnen einer Woche die Lösung
des Falles fix und fertig servieren würde? Zu schön, um wahr zu sein. Es war bereits
18 Uhr, als er das Büro verließ. Zuvor hatte er die Unterlagen nach Ort, Zeit und
Personen geordnet und in einem dieser blauen Einkaufskörbe verstaut, die man dank
einer genialen Konstruktion zusammenklappen konnte. Die Griffe bogen sich bedenklich
durch. Martin hoffte, dass sich nicht der gesamte Inhalt auf den Parkplatz ergießen
würde. Es nieselte leicht und es war stockfinster. Im Dunkeln zur Arbeit und im
Dunkeln nach Hause zu fahren, war eine Tatsache, die er nach zwei Jahren Aufenthalt
in Südamerika nur schwer ertragen konnte.
Auf dem
Weg zu seinem Wagen blickte er in die Gesichter von Kollegen und Besuchern und ihm
fiel auf, dass sie alle die gleiche von Schwermut gezeichnete Miene trugen. Hier
fehlt das Licht , dachte er. Ohne helles Licht werden keine Glückshormone
produziert . Gerade mal zwei Tage in Deutschland und die Stimmung der hier Lebenden
schwappte auf ihn über.
Unterwegs auf dem Weg zu seiner
Wohnung in Hamburg-Eimsbüttel parkte er den betagten Wagen am Straßenrand und probierte,
an Altbewährtem anzuknüpfen: Eine Pommesbude lud ein zu Fritten rot-weiß und einer
Currywurst. Er klappte den Kragen seiner zu dünnen Jacke im Nacken hoch und ärgerte
sich über die falsche Entscheidung. Eine Pizza zu Hause im Warmen wäre klüger gewesen.
Er beschloss, sich für die Zukunft einen junggesellengerechten Speiseplan zurechtzulegen,
denn es gab niemanden mehr, der ihn zu Hause erwartete und bekochte. Dieser Jemand
hätte das Essen, so wie früher, schon fertig gehabt. Sei es die vielfältige, meist
fischorientierte Küche Ecuadors oder die deutsche Variante von seiner verstorbenen
Verlobten, die ebenfalls eine ausgezeichnete Köchin war.
Er wünschte
sich mehr Zeit, um mit der neuen Situation klarzukommen, doch diese Zeit ließ man
ihm nicht. Zeit zum Grübeln, zum Abwägen und Betrachten der derzeitigen Lage oder
auch nur zum Trinken und Musikhören. Er stellte den Korb vor seiner Wohnungstür
ab und zog den Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor, als er
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