Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
der
Geburt aus dem Staub gemacht haben? Wo sind die Unterlagen darüber? Okay,
bleib ganz locker , beruhigte sich Martin. Lies die Akten vom Architekten,
dann von diesem Künstler und danach diese Prozesskiste. Eins nach dem anderen. Du
schaffst das! Du bist immer noch der Alte! Nicht Schöller, sondern du schaffst das! Pohlmann ballte die Hand zur Faust und nickte. Ein Hustenanfall unterbrach seinen
Motivationsmonolog, und der lauwarme Tee linderte seine Symptome nur wenig. Eine
Menge Arbeit war noch zu tun, doch er beschloss, dass eine lächerliche Erkältung
ihn nicht daran hindern werde, die Nuss zu knacken.
Die nächste
Akte, hellviolett, offenbarte Daten eines Mannes, der sich, wie die anderen Kläger
auch, im Herbst seines Lebens befand und als künftiger Prozessteilnehmer gelistet
war. Bernd Schäfer, geboren 12. April 1940 in Steinhöring.
Martin ahnte,
was jetzt kommen würde: Die Mutter hat sich nach der Geburt verdrückt, der Vater
unbekannt. Und genauso war es. Die Mutter war eine einfache Postangestellte, die
wahrscheinlich von einem SS-Offizier geschwängert worden war, um arischen Nachwuchs
zu produzieren. Martin spürte, wie allmählich etwas wie Wut in ihm aufstieg. Menschen
zu zeugen, so, wie ein Konto einzurichten. Allen gemeinsam war, dass sie an eine
Sache glaubten, die nicht wirklich existierte. Wieder hatte Bernd Schäfer seinen
Nachnamen von einem Pflegevater bekommen. Wie der Erzeuger des Kindes hieß, wurde
unter dem Vermerk ›Vater unbekannt‹ abgehakt. Bernd Schäfer studierte Architektur
wie sein Pflegevater Heinz Schäfer, der es ihm empfohlen hatte. Wenn schon nicht
sein Erbgut, wollte der Vater dem Jungen die Liebe zum Häuserbauen mitgeben.
Bernd stieg
in dessen Architekturbüro ein und begann, Einfamilienhäuser zu planen. Heiratete
mit 28, weil Nachwuchs unterwegs war, ließ sich drei Jahre später wieder scheiden.
Blieb zwei Jahre allein und heiratete erneut. Nach zwei Jahren kam wieder ein Kind
zur Welt, und auch diesmal hielt er es offensichtlich nicht lange mit der Familie
aus. Scheidung nach vier Jahren Ehe. Danach blieb er für fünf Jahre Single und heiratete
dann zum dritten Mal. Die Ehe hielt nur ein Jahr und blieb kinderlos. Danach blieb
Bernd Schäfer endgültig alleinstehend, musste sich zwei Entziehungskuren wegen Tablettenabhängigkeit
und Alkohol am Steuer mit Führerscheinentzug für jeweils ein Jahr unterziehen. Danach
wurde er gehäuft straffällig wegen Schlägereien, unter anderem in einem Casino,
und er schien auch sonst ein recht jähzorniger Mensch zu sein. Ein Verfahren wegen
Vergewaltigung wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Pohlmann war gespannt,
die Bekanntschaft des Mannes zu machen, dessen Vergehen im polizeilichen Führungszeugnis
so zahlreich waren wie die Dinge, die seinem Kühlschrank noch fehlten.
Nun war
der Mann 70 wie die anderen Kläger auch, und man sollte meinen, dass das Alter die
Menschen friedlich und ausgeglichener machte. Was für andere galt, schien für Bernd
Schäfer keineswegs zuzutreffen. Der letzte Eintrag in seinem Register bezog sich
auf einen amtlich gewordenen Streit, wo er seinem Nachbarn mit der Schaufel wegen
einer zehn Zentimeter zu hohen Hecke aufgelauert hatte. Der Rüpel mit der Schaufel
bekam sogar noch Recht. Das war genau vor vier Wochen. Ein Choleriker vor dem
Herrn , dachte Martin, als er die Akte studierte.
Nun fehlte
nur noch die Akte des Künstlers. Gelber Umschlag. Armin Rohdenstock, geboren 12.
November 1940 in Steinhöring. Klar war, was jetzt kam, und Martin leierte es gelangweilt
hinunter: Vater unbekannt. Mutter im Wochenbett verstorben. Eine Pflegefamilie nach
dem Krieg, die ihn aufnahm.
Soeben,
als Martin weiterlesen wollte, schellte es an der Tür. Martin hatte sich zwischenzeitlich
einen Bademantel übergezogen und den HSV-Schal umgewickelt, weil er beständig fror.
Er blickte durch das neue Guckloch seiner Tür und entdeckte draußen den Kollegen
und Freund Werner im Miniaturformat. Er zog einen Riegel zurück, entsperrte die
anderen Schlösser und öffnete die Tür wie in einem Hochsicherheitstrakt. Seit dem
Einbruch dauerte diese Prozedur eine gediegene Minute.
Werner betrachtete
die skurrile Erscheinung seines Freundes und wusste nicht, ob er sich Sorgen machen
oder loslachen sollte. Er entschied sich für Letzteres und ließ sein Lachen durch
den Hausflur erschallen.
Martin blickte
irritiert und zog Werner am Arm ins Innere des Lazaretts.
»Hi, Werner.
Ich drehe bald durch. Ein
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