Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Riesenhaufen von Leuten, die keine Väter, aber dafür ziemlich
schräge Biografien haben. Ich bin gerade bei Armin Rohdenstock stecken geblieben.
Den muss ich kurz noch durcharbeiten. Kennst du den?«
Martin und
Werner trotteten den Flur entlang, und der Gast überquerte Bücher und auf dem Boden
liegende Klamotten wie Tretminen. Werner hielt die linke Hand vor die Nase. »Hast
du mal darüber nachgedacht, dass ein Mensch zum Überleben Sauerstoff braucht? Um
es nett zu formulieren, es stinkt hier wie im Zoo.« Hartleib ging zum Wohnzimmer
und machte Anstalten, die Balkontür zu öffnen.
»Bist du
wahnsinnig! Ich erfriere.« Martin schloss den Bademantel unter dem Hals und hielt
ihn mit beiden Händen zu.
»Wenn du
nicht erfrierst, wirst du ersticken. Nur ein paar Minuten, sonst halte ich das hier
nicht aus. Du könntest auch mal aufräumen. Oder ’ne Putzfrau ranlassen.«
Martin winkte
ab. »Blödsinn. Die machen alles nur durcheinander. Kommt gar nicht infrage. Ich
weiß genau, wo alles liegt.« Werner schluckte und ließ die Antwort, die sich ihm
aufdrängte, im Hals stecken bleiben. Er hatte an Bezeichnungen wie Schwein oder
Messi oder Ähnliches gedacht. Schließlich schloss er die Balkontür und zeigte sich
zufrieden. »Dass Schöller auf dich stocksauer ist, brauch ich dir nicht zu sagen,
oder?«
Pohlmann
winkte ab. »Schöller ist ein Idiot. Komm mit. Lass uns rübergehen.« Martin ging
durch den Flur zum Arbeitszimmer voran. Auch hier schien eine Bombe eingeschlagen
zu haben. »Sag mir was zu Armin Rohdenstock. Mir brennen schon die Augen.«
Werner nahm
die gelbe Akte zur Hand und blätterte darin herum. »Hm, ich weiß wieder. Schräger
Vogel. Möchtegernkünstler.« Werner blätterte weiter. »Franz und Sigrid Rohdenstock.
Kinderlos geblieben, freuten sich nach dem Krieg über einen Pflegesohn. Armin entwickelte
sich leider nicht so, wie sich der Juwelier Franz und seine Frau es sich gewünscht
hätten. Müssen ziemlich etepetete gewesen sein. In höheren Kreisen durchaus geschätzt
und auf vielen Events gern gesehene Gäste. Mussten sich offenbar für ihren Sohn
Armin schämen. Unangepasst und provokant über die Grenze normaler Pubertierender
hinaus. Armin wechselte sein Outfit halbjährlich. Obwohl es damals noch keine Punks
und derlei Gattungen gab, zeigte sich Armin mit schwarzer, löchriger Kluft und drückte
Nieten in die Lederjacke. War diese Phase vorbei, mutierte er in ausgeprägtem Hippielook
zum Leidwesen seiner Eltern, denen schon lange die Vorwände ausgegangen waren, warum
denn ihr Sohn nicht auch auf der Feier oder der Wohltätigkeitsveranstaltung oder
sonst einem öffentlichen Geschehen dabei war. Sie wollten ihn nicht dabeihaben und
ließen sich eine lange Liste von Androhungen einfallen, für den Fall, dass er sich
doch mal blicken lassen würde. Doch plötzlich, einen Tag nach seinem 18. Geburtstag,
war er verschwunden und hatte einen kleinen, abgerissenen Zettel hinterlassen, auf
dem er das bezeichnende Wort ›Arschlöcher‹ notiert hatte. Herr und Frau Rohdenstock
waren vermutlich nicht wirklich betroffen oder traurig, als sie diesen Zettel, den
leeren Kleiderschrank und das verwüstete Zimmer vorfanden. Von da an lebten die
Rohdenstocks scheinbar friedlich in den Tag hinein, doch insgeheim rechneten sie
täglich damit, dass Armin wieder auftauchen würde, um sie mit seinen Extratouren
zu quälen. Er tat es ein einziges Mal, weil er Geld brauchte, und blieb von da an
weg, bis zu dem Tag, als er in der Presse als Künstler auftauchte. Ein begnadeter
Maler und großartiger Bildhauer, hieß es für wenige Wochen. Eine Agentur hatte sich
seiner angenommen und organisierte ein paar öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen,
um ihren Schützling für sie profitabel nach vorn zu puschen. Ein paar Bilder wurden
verkauft, ein paar hässliche Skulpturen an den Mann gebracht und das war’s. Danach
verschwand er wieder in der Versenkung, nahm Gelegenheitsjobs an, um, außer in seiner
Künstlersozialkasse einzuzahlen, sich eine kleine zusätzliche Rente zu sichern.
Außerdem schrieb er ein Buch. Einen schaurigen Roman, den kein Verlag wollte und
den er im Selbstverlag unter das Volk brachte. Gerade mal 65 verkaufte Exemplare.
Danach hat er das Schreiben sein gelassen.«
»Wow, das
war gut. Woher weißt du das alles?«
»Wir haben
alle verhört, die vor zwei Jahren an dem Prozess beteiligt waren. Rohdenstock war
der redseligste von allen. Als der den Mund aufmachte, hörte er den ganzen
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