Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
böse gemeint, aber dieser Fall …«
»Schon gut,
Chef. Hatte heute Morgen fast 39, die Nase ist dicht und der Schädel dröhnt, aber
ich denke, Montag wird’s wieder gehen. Ich werde mich das ganze Wochenende dransetzen,
die Akten und diese Kladde von der Frau Braun zu lesen. Alles nur eine Frage der
Ibuprofen-Dosis.«
»Alles klar,
das beruhigt mich. Gute Besserung.«
»Danke,
Chef. Sie hören dann von mir.« Martin drückte die Stopp-Taste und sah seinen Freund
Werner ungläubig an.
»So ein
Mist. Immer dann, wenn ich die Akten lese, sterben die Leute wie die Fliegen. Soll
ich dir was sagen? Ich glaube weder an einen Selbstmord bei Schäfer noch bei Keller
und erst recht nicht an einen Unfall im Krankenhaus oder eine versehentliche Überdosis
Propofol bei Ursula Seifert, ganz zu schweigen von einem Erhängten in einem Schulkeller.
So viele ›zufällige‹ Tote kann es gar nicht geben. Der Fall ist doch sonnenklar.
Irgendjemand versucht, alle Kläger auszuschalten, damit es nicht zum Prozess kommt.«
»Aber wieso?«,
fragte Hartleib.
»Keine Ahnung.
Aber da liegt der Schlüssel. Es geht in dem Prozess vermutlich um einen Erbstreit.
Das ist an sich ja nicht ungewöhnlich, es sei denn, es geht um richtig hohe Summen.«
»Es gab
schon Morde aus niedrigeren Beweggründen. Viel Geld war schon immer ein beliebtes
Motiv.«
Pohlmann
kratzte über sein unrasiertes Kinn. »Das ist zu billig. Geld allein ist zu wenig.
Da muss es um mehr gehen. Um viel mehr, Werner. Hier werden sukzessiv Leute gekillt
und zwar so perfide gemanagt, dass es immer wie ein Unfall oder Selbstmord aussieht.
Wer kann wissen, wie viel Propofol nötig ist, um einen Herzstillstand zu provozieren.
Auch bei Schäfer ging es um Tabletten und Alkohol. Okay, Keller hat sich mit seiner
Waffe erschossen, so die offizielle Version, und der Hausmeister hatte Kabel benutzt,
mit denen er täglich umging. Da hat einer wirklich Spaß am Töten, skrupellos und
immer so, dass es nicht wie Mord aussieht. Pass auf, Werner. Morgen besuchst du
Feldmann und diesen …«
»Rohdenstock«,
ergänzte Werner und fragte sich, wie Martin diesen Fall durchstehen sollte. Kaum
aus Ecuador zurück, mit einem überaus komplexen Fall beinahe überfordert und zu
allem Überfluss noch an einer schlimmen Grippe erkrankt.
»Morgen
ist Samstag«, erwiderte Werner.
»Na und?
Der Tod hat kein Wochenende.«
Martin vernahm
das Grunzen seines Freundes.
»Freu dich
doch. Dann kannst du wieder das Weite suchen, wenn deine Frau rumzickt.«
»Morgen
hat Maurice ein Spiel mit der Mannschaft und er würde es gern sehen, wenn sein Vater
endlich mal zuschaut.«
Martin nickte
verständnisvoll.
»Trotzdem.
Das ist jetzt echt wichtiger. Ich fahr gleich Montag ins LKH, versuche, aus dieser
Emmi was rauszubekommen und sehe mich im Büro des Professors um. Mal sehen, ob ich
da noch was finde, was uns weiterhilft. Keller war Spezialist auf dem Gebiet der
Nazi-Ideologie, hat sich mit der Geschichte und der Struktur dieser Lebensbornheime
über viele Jahre auseinandergesetzt und war als Gutachter bestellt worden. Er war
der Initiator des gesamten Prozesses. Hier müssen wir suchen. In der Vergangenheit.«
»Meinst
du, Keller hat etwas mit den Morden zu tun?«
»Na ja,
die Braun bezichtigt ihn des Mordes an Strocka, diesem Exnazi. Sie behauptet, Keller
habe ihr einen langen Brief geschrieben, in dem er die Tat gesteht und bereut, und
sie sagt, man hätte den Brief zusammen mit der Kladde finden sollen, nachdem sie
sich auf den Weg ins Jenseits gemacht hat, aber der Brief ist unauffindbar. Sofern
es ihn wirklich gegeben hat«, fügte Pohlmann ergänzend hinzu und streckte Hartleib
den Zeigefinger entgegen. »Immerhin sagt das eine Frau, die in einer Klapse lebt,
obwohl sie mir gar nicht so verrückt erscheint.«
»Versteifst
du dich da nicht auf eine falsche Fährte? Der springende Punkt ist doch wohl, um
was oder wen es genau in diesem Prozess gehen soll. Wer sind überhaupt die Angeklagten?
Hast du dich schon mit denen beschäftigt?« Martin ließ sich in einen Sessel fallen.
Eine Welle der Erschöpfung brach über ihm zusammen. Ein Griff an die Stirn gab ihm
den Rest.
»Ich muss
dringend mit Lorenz sprechen und mit dem Staatsanwalt, bevor der mir an die Gurgel
springt.«
»Du meinst
diesen Nazijäger mit dem stechenden Blick.«
»Genau,
den meine ich. Wenn einer was von Nazis versteht, dann der. Und es ist besser, mit
ihm zu arbeiten als gegen ihn.«
Kapitel 24
Hamburg, 8.
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