Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
vereinbart,
einen Jungen schenken, ihn ins Dasein rufen für höhere Ziele, klar, doch nicht derjenige
sein, der dem Kind diese Ziele vermittelte. Dies sollte zunächst die Heimleitung
bewerkstelligen und später, sobald das Kind eingezogen werden konnte, die Schutzstaffel
als übergeordneter Vater.
So sehr
Pohlmann auch suchte, er fand keinen Eintrag zu dem wahren Namen des Kindes. Die
Seiten in der Akte stammten zum Teil aus Archiven. Herausgerissene Ecken, durchgestrichene
Einträge oder fehlende Seiten innerhalb einer durchnummerierten Abhandlung. Martin
strich die Haare aus dem Gesicht, ließ den Blick umherstreifen und dachte nach.
Also: Wie war es weitergegangen mit Alois Feldmann, geboren als Alois Irgendwer?Ging nach dem Krieg zur Schule, machte Abitur mit der Gesamtnote ›gut‹. 1960
zog er von zu Hause aus, um, wie es in den Unterlagen zu lesen war, die Welt zu
sehen. Er kaufte sich von dem ersten, hart erarbeiteten Geld einen alten VW-Bus,
warf seine Koffer zu der Matratze ins Heck und fuhr los. Er wollte alles sehen:
zunächst über Österreich nach Italien, weiter nach Griechenland, Israel, Ägypten,
Indien und noch so viele Länder danach, wie das Geld reichte und er sich Benzin
und Essen leisten konnte. Martin senkte den Blick zu den Einträgen, die vor ihm
lagen, und grinste. Dieser Alois war ihm auf Anhieb sympathisch, und er freute sich,
im Rahmen seiner Ermittlungen den Mann zu treffen, der die halbe Welt bereist hatte.
Er las weiter.
1966 trat
Alois Feldmann, 26-jährig, in ein Franziskanerkloster bei Würzburg ein und wechselte
zehn Jahre später aus seinem Heimatkloster in die Pfarrei St. Agatha Altenhundem
im Sauerland.
Im Alter
von 58 Jahren zog er noch einmal ins Erzbistum Hamburg um, wo er bis zu seinem 67.
Lebensjahr Exerzitien und Besinnungstage leitete. Danach kaufte er sich aus der
Insolvenzmasse eines geschiedenen Mannes unweit des Klosters ein altes Haus aus
der Jugendstilzeit. Heute, drei Jahre nach dem Austritt aus dem Klosterleben, reiste
er wieder durch die Lande und, so vermutete Martin, genoss sein Leben. Dass dem
nicht so war und was Alois Feldmann wirklich umtrieb, sollte Martin erst später
erfahren.
Kapitel 23
Hamburg-Eimsbüttel, 5. November,
2010
Am späten Nachmittag probierte Martin
eine Zigarette. Er hustete heftig. Fad, nach Heu schmeckte sie und er drückte sie
nach zwei Zügen wieder aus. Ein geheimer Stolz befiel ihn, wenigstens in Zeiten
der Krankheit über die Gängelei des Glimmstängels obsiegen zu können. Eine frische
Kanne Kräutertee mit reichlich Eukalyptushonig verschaffte seinem Hals und dem Rest
des angeschlagenen Kopfes Linderung. Er vernahm den Ruf der nächsten Akte und folgte
ihrem Drängen gern, denn seine Neugier war längst erwacht. Er räumte die übrigen
Papiere aus dem Bett heraus und verfrachtete alles auf seinen Schreibtisch ins Arbeitszimmer.
Er griff nach einem Bleistift, legte ein Blatt Papier vor sich und machte sich Notizen.
Was habe ich bisher? Eine Liste von Personen wuchs, um seine Gedanken festzuhalten.
Eine Gruppe
von Klägern, die sich aus recht sonderbaren Typen zusammensetzt. Also: Da wäre ein
toter Professor, an dessen Selbstmord Zweifel angemeldet werden, eine ehemalige,
jetzt ebenfalls tote Lehrerin mit zu viel Propofol im Blut, ein ehemaliger, jetzt
toter Hausmeister, der sich im Keller einer Schule an seinen Stromkabeln erhängt
hatte. Eine Halbverrückte in einer Klapse, die sich selbst nichts sehnlicher wünscht,
als sich ins Jenseits zu katapultieren. Am Leben sind noch der Ex-Architekt Bernd
Schäfer – zu dem komme ich gleich –, der Priester Alois Feldmann und ein erfolgloser
Künstler, der sich mit unbedeutenden Ausstellungen über Wasser hält. Ein Armin Rohdenstock.
Gemeinsam ist allen, dass sie um die 70 und im Lebensbornheim Steinhörig 1940 zur
Welt gekommen sind, andere Nachnamen als die ihrer Väter tragen und in einem Prozess,
der in drei Wochen beginnen soll, eine Identität ans Licht bringen wollen, die ihnen
nicht nur den richtigen Namen und ihre Herkunft bescheren soll, sondern auch das
mögliche Erbe ihrer Väter, die vermutlich verstorben sind oder bald tot sein werden.
Martin ließ
den Stift auf die Schreibplatte fallen. Na super .
Pohlmann
bestaunte seine ersten Ergebnisse, die eigentlich keine waren. Er stützte den Kopf
in den Händen auf. Verdammter Mist , fluchte er. Wie soll ich in der kurzen
Zeit alles auf die Reihe kriegen? Wer sind diese feigen Väter, die sich nach
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