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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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November 2010
     
    Auf der Fahrt in die Psychiatrie
hatten die Scheibenwischer Mühe, gegen das erste Schneetreiben des Jahres anzukämpfen.
Es war genau ein Grad unter null. Beheizbare Ledersitze sowie erwärmte Rundumlüftung
sorgten für angenehme Temperaturen innerhalb des Wagens, der die vierspurige Straße
Richtung LKH entlangglitt. Obwohl der BMW über die neueste Technologie verfügte
und die Intervallgeschwindigkeit der Wischer elektronisch gesteuert wurde, erregte
das anhaltend miese Wetter Martins Unmut. Der Zeitpunkt des Aussteigens würde kommen,
und er vergewisserte sich mit einem Blick zur Seite, ob der Regenschirm in Griffweite
lag. Zum wiederholten Male musste er in die geschlossene Anstalt, um seine Ermittlungsarbeit
voranzutreiben, und es würde nicht das letzte Mal sein, dessen war er sich sicher.
    Die Bewohner,
Pfleger und Schwestern hatten sich an seinen Besuch gewöhnt und nickten ihm zu,
als er die Schleusen passierte. Das Innere der Geschlossenen verschluckte ihn und
verursachte ein diffuses Stechen in seinem Magen.
    Er schüttelte
seine Jacke und befreite sie von den weißen Flocken. Wie gut, dass der Schirm, den
er in seiner Zerstreuung vergessen hatte, trocken im Wagen lag.
    Als er diverse
Gänge entlanggelaufen war und um eine bestimmte Ecke bog, erahnte er Paule, der
zum Sprung ansetzte, doch Martin drehte sich zu ihm, hob seine linke Hand, um ein
Stopp zu signalisieren und brachte Paule damit völlig durcheinander. Dieser hielt
in einer katzenhaften Haltung inne, riss Augen und Mund auf, hielt die Luft an,
verharrte auf einem Bein und wäre beinahe zur Seite gekippt. Martin grinste ihn
an und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, ohne ein Wort zu sagen. Eine
Geste der Menschlichkeit und Anerkennung schien Paule zu genügen. Er blieb in der
Ecke stehen und sah Martin hinterher, bis er ein neues Opfer anpeilte und Stellung
bezog.
    Aus einem
anderen Zimmer hörte Martin eine Frau schauerlich singen. Sie schien es zu genießen,
sie sang voller Inbrunst, laut und ohne Rücksicht auf irgendjemanden. Wie er später
erfuhr, hatte er Liza Minelli live in concert erlebt.
    Nach einer
Weile, als er noch wenige Meter zum Schwesternzimmer zu gehen hatte, kam ihm ein
kleiner Mann entgegen, um die Mitte 60. Er hatte einen kahlen und kugelrunden Kopf.
Nur ein schmaler Kranz gelockter Haare imponierte durch eine gewisse unpassende
Länge. Die dünnen Enden hingen fusselig im Nacken und vermochten nicht, die fehlende
Fülle zu kompensieren. Innerhalb dieses Kranzes lächelte das ganze Gesicht dieses
Mannes verschmitzt. Vom Grübchen im Kinn bis zum oberen Rand der buschigen Brauen.
    Unterhalb
des grinsenden Doppelkinns fehlte der Hals, und eine gleichmäßige Wölbung reichte
bis unter die Gürtelschnalle, die man nur erahnen konnte. Das weiß-grau gestreifte
Hemd war in eine graue Hose gestopft, die erstaunlicherweise Bügelfalten aufwies,
sodass der Träger insgesamt eine ungewohnt stattliche Figur abgab. Der Mann, der
ihm mit watschelndem Schritt entgegenstrebte, hatte schwarze, blankpolierte Schuhe
an. Ein schmaler Streifen nackter Haut verriet, dass er die Socken vergessen hatte.
Hätte Martin nicht gewusst, dass Danny de Vito, quicklebendig und Herr seiner geistigen
Kräfte, in Hollywood weilte, hätte er wetten können, ihn in diesem Moment vor sich
zu sehen.
    »Halt!«,
gebot ihm der Kleine mit strenger Miene und baute sich vor Martin auf, der ihm gegenüber
wie ein Riese wirkte. David und Goliath standen sich Auge in Auge gegenüber. »Wohin
möchten Sie?«
    Martin blieb
amüsiert stehen und betrachtete den Winzling. Etwas an dem Mann berührte ihn innerlich
und machte ihn froh. Entweder war es der Gedanke, gottlob nicht so verrückt zu sein
wie jene, die hier lebten, oder der Gedanke, dass diese Kopie von Danny de Vito
es geschafft hatte, dem wahren, aber anstrengenden, bisweilen teilweise sogar recht
schrecklichen Leben zu entkommen und in eine Rolle zu flüchten, die es ihm ermöglichte,
das Dasein als Komödie zu gestalten und so zu überleben.
    Martin beschloss,
das Theater mitzuspielen. »Ich möchte gern zu Schwester Annegret und zu Frau Braun.«
De Vito legte seinen Kopf schief wie ein Hund, der das Kommando seines Herrchens
nicht verstanden hatte.
    »Wer ist
Annegret und wer ist Frau Braun?«, fragte er. »Nein. Die gibt es hier nicht! Ich
kann Sie nicht durchlassen.« De Vitos Kinn schwabbelte, während er heftig den Kopf
schüttelte und Martin den Weg versperrte. Er stemmte

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