Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
danebenlag.
Im hinteren
Teil befanden sich Zettel mit Notizen unwichtiger Art: Einkaufszettel, Tankquittungen,
Erinnerungshilfen, wann die Müllabfuhr kam, wann welche Zeitung abbestellt werden
musste, diverse Visitenkarten und auf abgerissene Schnipsel gekritzelte Telefonnummern.
Er schob die Schublade zu und widmete sich der nächsten. Hier sah es deutlich strukturierter
aus. Leere Formulare, die patientenspezifisch ausgefüllt werden mussten. Vordrucke,
die ein paar Kreuze bedurften und zügige, nicht sonderlich individuelle Bearbeitung
versprachen. Ein kleines Feld im unteren Viertel lautete: Besonderheiten. Es bot
Platz für zwei, maximal drei Zeilen. Martin vermutete, dass dies für Patienten gedacht
war, die einen kurzen stationären Aufenthalt in der Klinik genossen.
Die dritte
Schublade beheimatete einen Stapel empfangener Briefe. Überwiegend Kontoauszüge
der HASPA, der Hamburger Sparkasse. Überweisungsdurchschläge derselben Bank mit
scheinbar regelmäßigen, niedrigen Überweisungsbeträgen. Dann fand er Briefe von
Angehörigen von Patienten, wie Martin in ein, zwei geöffneten Umschlägen feststellte.
Ebenso Anfragen von Ärzten bezüglich der Therapie und des voraussichtlichen Entlassungsdatums.
In der vierten
und größten Schublade waren Akten hängend einsortiert, und Martin fand heraus, dass
es sich hier um Personalakten handelte von Angestellten, die auf dieser, Professor
Keller unterstellten, Station arbeiteten. Er zog die Akte von Annegret heraus und
bemerkte, dass er leicht errötete. Es fühlte sich wie ein unrechtmäßiges Herumschnüffeln
an, aber genau das war er, der Schnüffler einer Sonderkommission, der dafür bezahlt
wurde herauszufinden, ob jemand Dreck am Stecken hatte. Ob es Ungereimtheiten gäbe,
nicht stimmige Profile und vieles mehr. Er schlug die Akte von Annegret auf und
betrachtete das Foto. Ein hübsches Mädchen, schlanker zum Zeitpunkt der Bewerbung,
aber genau dieselbe Annegret, die er kennengelernt hatte. Die feinen Grübchen in
den Lachfalten, Sommersprossen über der Nase und das lausbübische Leuchten in den
Augen. Martin las die fehlerfreie Bewerbung und blätterte zu den Zeugnissen um.
Es gab keine Drei, nur Zweien und Einsen, insgesamt ein ausgezeichnetes Abschlusszeugnis.
Warum man sich um eine Stelle in einer psychiatrischen Anstalt bewarb, konnte Martin
nicht begreifen. Vielleicht würde sie es ihm bei einem guten Glas Rotwein erklären.
Auf einem Sofa sitzend, mit seinem Arm um ihre Schultern. Ja, er musste sich eingestehen,
er mochte sie.
Pohlmann
hängte die Akte von Annegret zurück und ging die Hängeordner noch einmal von vorn
durch. Die meisten Namen der Beschäftigten kannte er nicht, bis ihm die Akte von
Lars Dräger in die Finger kam. Bisher hatte er ihn als unauffälligen Pfleger um
die Mitte 20 kennengelernt, für den sich Annegret verbürgte. Dennoch stand die Aussage
von Emilie Braun im Raum, die behauptete, dass Dräger sie nicht mögen würde. Nein,
mehr noch. Sie hatte ihm ja heute offenbart, er wolle sogar, dass sie sterbe. Martin
dachte über die Glaubwürdigkeit von Emmis Worten nach. Er durfte nicht den Fehler
machen, zu voreilig zu sein, Schlüsse zu ziehen, die ihn auf eine falsche Fährte
lenkten. Immerhin sagte dies eine Frau, die unter Medikamenten stand, sich Tage
zuvor das Leben nehmen wollte und, insgesamt betrachtet, recht sonderbar war.
Martin schlug
die Akte von Dräger auf und begann zu lesen. Er las die ebenfalls fehlerfreie Bewerbung,
den klassischen Lebenslauf mit Realschulabschluss und ein perfektes Zeugnis mit
guten Noten. Fast zu sauber.
Alles an
der Akte war blitzblank, obgleich Martin mit den Namen der Eltern und des Bruders
nichts anfangen konnte. Aus einem Bauchgefühl heraus beschloss er, die Akte mit
nach Hause zu nehmen und sie einstweilen beiseitezulegen. Die anderen Akten ließ
er hängen und schob die Schublade zu. Der Schreibtisch war erledigt, jedenfalls
vorerst.
Pohlmann
schwang in seinem Sessel herum und betrachtete die vielen Bücher in den Regalen.
Wie der Schreibtisch waren auch die Regale nicht wie bei ihm zu Hause von Ikea stammend,
sondern aus kräftigem Mahagoniholz gefertigt, solide, ohne dass irgendwelche Schrauben
oder Plastikteile das Auge des Betrachters störten. Martin stand auf und strich
mit der Hand über das feine Holz. Die Kanten waren kunstvoll abgerundet, und jede
einzelne Zelle seiner Finger, die des Tastsinnes mächtig war, erahnte den hohen
Wert dieser Schreinerarbeit. Martin
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