Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
können, warum dieser Fragebogen das Datum einen Tag vor der zufällig erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgten Vernehmung dieser Zeugin trägt. Warum ist nicht im Vorfeld genauer die Person der Michelle Crouchford erforscht worden, die offensichtlich sowohl im Tatgeschehen als auch vor Gericht schauspielerische Qualitäten offenbarte? All das sind Fragen, die mich mehr und mehr beschäftigen, Gereon! Ich frage mich, ob du Maxim Wendel überhaupt ernsthaft verteidigt hast. Du bist ein absoluter Profi, und ausgerechnet in diesem Fall unterlaufen dir Nachlässigkeiten, die nicht einmal einem Anfänger passieren dürften. Wundersamerweise ergibt sich dann noch eine Querverbindung zwischen dem Fall und den ›Zehn‹, ganz abgesehen davon, dass Marie am letzten Samstag eine zweifelhafte Begegnung mit einem Mann hatte, der möglicherweise Wolfgang Traunhof war. Du kannst dich nicht ernsthaft über meine Gedanken wundern, Gereon!«
»Du wirfst mir also vor, meinen Mandanten Maxim Wendel verraten zu haben.« Gereon Trost verstummte für einige Minuten.
»Ich erfahre gerade zufällig – ich behaupte, scheinbar zufällig –, dass sich Maxim Wendel in eine Therapie begeben hat, um sein krankes Verhalten zu bekämpfen«, setzte Trost zur Gegenwehr an. »Warum hat er mir damals davon nichts erzählt?«
»Weil er sich vor seiner Frau schämte – oder weil er witterte, dass du diese Information ignoriert hättest«, mutmaßte Stephan.
»Aber das ist doch verrückt! Er hat geschwiegen, weil er genau wusste, dass er mit seiner Tat sein Therapieziel ins Gegenteil verkehrt hatte. Die schlafende Bombe Maxim Wendel war explodiert. Fortan war er nicht mehr nur der Quatscher, nun wurde er der Täter einer versuchten Vergewaltigung. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob ich etwas von der Therapie im Prozess erwähnt hätte. Ich sehe nicht, dass dies Wendel genutzt hätte. Meinst du wirklich, dass irgendjemand wahrgenommen hat oder auch nur wahrnehmen wollte, dass Wendel seit seiner Eheschließung in der Tat zurückhaltender geworden war? Glaubst du, dass ein Lehrer, dessen Ruf an der Schule sich seit Jahren aus dem Umstand speist, dass er Mädchen nachstellt, aus dieser Gerüchteküche herauskommt, wenn er tatsächlich sein Verhalten seit ein paar Monaten geändert hat? Schwein bleibt Schwein! Das weiß jeder, Stephan. Es ist überall in der Gesellschaft so.«
»Wendels Verhaltensänderung hätte ein Schlüssel für eine erfolgreiche Verteidigung Wendels sein können«, war sich Stephan sicher.
»Könnte, Stephan. Könnte, hätte, müsste! Aus deiner heutigen Sicht scheint alles einfach und klar. Hast du dich denn mal an der Schule umgehört? Hast du gefragt, was Schüler über den früheren Lehrer Maxim Wendel erzählen, wenn sie ihn noch erlebt haben? Es gibt Paradebeispiele, die unter den Schülern gleichsam einer Stafette an die nächsten Jahrgänge weitergegeben werden. Sie sind Inbegriff dessen, was Schüler über Wendel wussten und wie sie über ihn dachten. Ich gebe dir zwei Beispiele: Legendär ist ein in jedem Chemiekurs von Wendel präsentierter Versuchsaufbau, bei dem ein Glaskolben vorerhitzt werden musste. Wendels einleitende Worte hierzu lauteten stets: ›Da muss ich erst mal meinen Kolben richtig heiß machen.‹ Verstehst du, Stephan, auf diesen Satz warteten die Schüler förmlich, wenn Wendel seinen Versuch durchführte. Wendel galt unter den Schülern immer als der Lehrer mit dem heißen Kolben. Psychologie hin oder her. Mir ist völlig egal, ob so ein Typ irgendwelche Defizite hat. So etwas interessiert mich in keinem Prozess. Ich habe noch nie zu den Strafverteidigern gehört, die eine Tat mit der schlechten Kindheit des Mandanten zu erklären versuchten. Dieser ganze Psychoschmalz hilft nicht weiter. Im Fall Wendel gilt schlicht und ergreifend, dass so ein Mensch nicht an eine Schule gehört! Ich gebe dir ein weiteres Beispiel aus Wendels Verhaltensrepertoire: Er ließ sich bei chemischen Versuchen gern von blonden Schülerinnen mit langen Haaren assistieren, die er zielsicher aus der Klasse auswählte und nach vorn bat. Handelte es sich um einen Versuch, der mit dem Bunsenbrenner durchgeführt wurde, bat er die Mädchen, die Haare nach hinten zu einem Zopf zusammenzubinden, damit die Haare nicht Feuer fingen, wenn die Mädchen bei der Durchführung des Versuchs den Kopf nach vorn beugten und die Haare nach vorn fielen. Maxim Wendel sagte bei dieser Gelegenheit gern: ›Besser zusammenbinden, denn
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