Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
seine Tochter auf Vorrat hätte gespeichert haben müssen.«
»Genau das!«, bestätigte Marie. »Die SMS an seine Tochter Delia ist ganz einfach erklärt. Er hat sie vorher geschrieben und gespeichert und dann im Zug nur mit einem Klick abgesandt. Dann hatte er Zeit für die SMS an Traunhof. Du konntest gar nicht merken, dass er zwei SMS abgesandt hat. Die Botschaft an Delia ist höchst überflüssig. Sie wird doch gewusst haben, dass ihr Vater mit dir zusammen im Zug nach Leipzig sitzt. Und dass alles okay ist, darf vermutet werden. Ebenso, dass er sich später bei seiner Tochter melden wird. Eine Nachricht an Delia hätte zu diesem Zeitpunkt doch nur Sinn gemacht, wenn irgendetwas bei der Fahrt nicht geklappt hätte. Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass Trost wie eine große Hörmuschel an dir klebt? Er beliefert dich mit Informationen und bindet dich ein, aber vielleicht ist das auch nur Fassade. Er füttert dich, aber im Grunde horcht er dich aus. – Denk mal über die vorherige Situation nach! Du sagst, dass du ihn mit massiven Vorwürfen konfrontiert hättest. An Trosts Stelle hätte ich dir jetzt den Laufpass gegeben. Müsste ich als großer Starverteidiger, als Primus meines Faches, die Kritik eines Allerweltanwalts ertragen, der mir nicht weniger als einen Verrat am eigenen Mandanten vorwirft? Aber der sonst über alle anderen erhabene und selbstherrliche Dr. Gereon Trost tritt dich nicht weg, sondern will sogar die Bindung zu dir noch verstärken. Jetzt soll es einen gemeinsamen Ausflug in die Berge geben. Stephan, da stimmt doch was nicht! Wohin soll es denn gehen?«
»Das hat er noch nicht gesagt.«
»Weil er sich erst mit Traunhof besprechen muss«, nickte Marie.
»Er hat ausdrücklich gesagt, dass ich mich mit dir besprechen soll. Er weiß doch, wie kritisch du bist.«
»Flucht nach vorn!«, wiederholte Marie. »Wie immer, sehr geschickt.«
»Es geht ihm um die Zukunft seiner Tochter. Also plant er nach vorn. Der Ausflug wird keine Falle sein, wenn du daran denken solltest. Sonst wäre ihm nicht daran gelegen, dass du über alles im Bilde bist.«
»Ich hoffe nur, dass ich mich nicht irre«, antwortete sie. »Überlege dir genau, worauf du dich einlässt, Stephan. Immerhin hat Trost auch noch mit Traunhof telefoniert«, sagte sie mit Blick auf Trosts Handy. »Letzten Sonntag, 22. Juli, gegen 19 Uhr. Also am Abend nach eurer Rückkehr aus Leipzig. Es hätte mich auch gewundert, wenn er sämtliche Kontakte zu Traunhof gelöscht hätte. Jede Wette, dass er in diesem Telefonat Traunhof Bericht erstattet hat.« Sie sah lächelnd auf. »Es ist Traunhofs Handynummer«, erklärte sie. »Ich kenne sie aus dem Internet. Traunhof bittet auf der Homepage alle Patienten, ihn jederzeit, auch außerhalb der Sprechzeiten, zu konsultieren. Wolfgang Traunhof ist eben sehr dienstleistungsorientiert. Ein vorbildlicher Arzt und aufrechter Bürger. Die ›Zehn‹ können stolz auf ihn sein.«
»Ich möchte Trosts Kanzlei gern übernehmen, Marie«, sagte Stephan ernst. »Es ist ein Angebot, das ich nur einmal in meinem Berufsleben habe. Es wird mit meiner jetzigen Kanzlei nicht weitergehen können. Seit der Übernahme des Mandats Wendel gab es kein einziges Neumandat. Die Zeiten sind schlecht geworden, Marie. Man liest es in allen Nachrichten, und jeder weiß es. Alle halten das Geld zusammen. Die Leute streiten nicht einmal mehr wie früher. Als Anwalt kann nur noch derjenige bestehen, der einen breiten Mandantenstamm hat. Doch den werde ich nicht aufbauen können. Gereon Trost hat ihn. Was gibt es da zu überlegen? Ich will endlich für meine Familie sorgen. Wenn du Gereon Trost schlachtest, sägst du an unserem eigenen Stuhl.«
»Er hat sich als Mephisto bezeichnet«, entgegnete Marie. »Nicht ich.«
22
Oberstaatsanwalt Kreimeyer bewohnte mit seiner Frau ein Reiheneckhaus im Stadtteil Sölde. Das Haus gehörte zu einer Kolonie, die ihre Entstehung in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht verbergen konnte. Die Häuser waren in die Jahre gekommen, die Klinkerfassaden wirkten altbacken und verbraucht. Ihre eintönigen Fassaden ließen kaum abweichende Gestaltungen zu. Lediglich in den Haustüren unterschieden sich die einzelnen Häuser voneinander. Nur wenige Eigentümer besaßen noch die ursprünglichen weißen Einheitstüren aus Kunststoff. Viele hatten im Laufe der Jahre teurere Modelle einbauen lassen, die mit ihren Edelmetallverzierungen und kunstvollen Glaseinfassungen Individualität
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