Raststätte Mile 81
Armen und begutachtete den schlammigen Kombi. Die Sonne versteckte sich wieder; ihre Schatten verschwanden. Auf dem Turnpike floss der Verkehr weiter – jetzt jedoch etwas langsamer, wohl als Reaktion auf sein weiterhin blitzendes Blaulicht.
Weder in dem Expedition noch dem Prius noch dem Pick-up war jemand. Vermutlich war auch in dem Anhänger niemand. Außer derjenige duckte sich hinter die Bordwand. Dann wäre das Pferd jedoch bestimmt nervöser gewesen, was aber nicht der Fall war. Der einzige Wagen, in den er nicht hineinsehen konnte, war der Kombi, der nach Aussage der Kinder deren Eltern gefressen hatte. Jimmy gefiel es nicht, wie alle Fenster mit Schlamm beschmiert waren. Irgendwie sah der Schlamm wie absichtlich aufgebracht aus. Auch das vor der Fahrertür liegende kaputte Handy gefiel ihm nicht. Noch der Ring daneben. Der Ring war echt gruselig.
Als ob alles Übrige das nicht wäre.
Plötzlich öffnete die Fahrertür sich knarrend ein Stück weit, was den Gruselfaktor noch steigerte. Jimmy straffte sich und legte eine Hand auf den Griff seiner Glock, aber niemand stieg aus. Die Tür stand einfach einen Spaltbreit offen.
»So versucht es, einen anzulocken«, sagte das kleine Mädchen mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war. »Es ist ein Monsterauto.«
Jimmy Golding glaubte nicht mehr an Monsterautos, seit er als Teenager den Film Christine gesehen hatte, aber er glaubte wohl, dass Monster manchmal in Autos lauern konnten. Und in diesem hier war jemand. Wie hätte sich die Tür sonst öffnen können? Das konnte ein Elternteil der Kinder sein, der verletzt war und nicht um Hilfe rufen konnte. Das konnte aber auch ein Mann sein, der flach auf dem Sitz lag, damit er durch die mit Schlamm bespritzten Scheiben nicht zu sehen war. Ein Mann mit einer Pistole womöglich.
»Wer ist in dem Kombi?«, rief Jimmy. »Ich bin State Trooper und fordere Sie auf, sich zu erkennen zu geben.«
Niemand gab sich zu erkennen.
»Rauskommen! Mit den Händen voraus, und ich will sie leer sehen.«
Heraus kam jedoch nur die Sonne, die einige Sekunden lang den Schatten der Tür auf den Asphalt malte, bevor sie sich wieder hinter die Wolken zurückzog. Danach war nur noch die offen stehende Autotür da.
»Kommt mit, Kinder«, sagte Jimmy und führte sie zu seinem Streifenwagen. Er öffnete die hintere Tür. Sie betrachteten den Rücksitz mit seinem Durcheinander aus Papieren, Jimmys Jacke mit Fleecefutter (die er heute nicht brauchte) und die geladene und gesicherte Schrotflinte in der Halterung über der Rücksitzlehne. Besonders die.
»Mami-n-Daddy sagen, dass man in kein fremdes Auto steigen darf«, sagte der Junge namens Blakie. »Das sagen die Kindergartentanten auch. Fremde sind gefährlich.«
»Er ist ein Polizist mit einem Polizeiauto«, sagte Rachel. »Das ist okay. Los, steig ein. Und wenn du die Waffe anfasst, kriegst du Haue.«
»Ein guter Rat wegen der Flinte, aber die ist gesichert und der Abzug verriegelt«, sagte Jimmy.
Blakie stieg ein und spähte über die Sitzlehne. »He, du hast ein iPad!«
»Halt die Klappe«, sagte Rachel. Beim Einsteigen sah sie mit müdem, erschrockenem Blick zu Jimmy Golding auf. »Fassen Sie es nicht an. Es ist klebrig.«
Jimmy hätte beinahe gelächelt. Seine Tochter war nur ungefähr ein Jahr jünger als dieses kleine Mädchen, und sie hätte das Gleiche sagen können. Vermutlich zerfielen kleine Mädchen von Natur aus in zwei Typen: Wildfang und Schmutzhasserin. Wie seine Ellen war die Kleine hier eindeutig eine Schmutzhasserin.
Mit dieser falschen Auffassung – die sich bald als fatal erweisen würde – davon, was Rachel Lussier mit klebrig meinte, sperrte er die beiden auf dem Rücksitz von Wagen 17 ein. Dann beugte er sich durchs offene Seitenfenster und schnappte sich sein Mikro. Er ließ die offene Fahrertür des Kombis keine Sekunde aus den Augen und sah deshalb auch den kleinen Jungen nicht, der neben der ehemaligen Raststätte stand und eine Satteltasche aus Kunstleder wie ein kleines blaues Baby an die Brust gedrückt hielt. Im nächsten Augenblick zeigte die Sonne sich wieder, und Pete Simmons verschwand im Schatten des Gebäudes.
Jimmy rief bei den Barracks in Gray an.
»17, kommen.«
»Ich stehe vor der ehemaligen Raststätte Mile 81. Ich habe vier herrenlose Autos, ein herrenloses Pferd und zwei ausgesetzte Kinder. Eines der Autos ist ein Kombi. Die Kinder sagen …« Er zögerte, dann dachte er: Hol’s der Teufel. »Die Kids sagen, dass er
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