Ratgeber Magersucht
unbedingt durch einen Arzt mitbetreut werden. Parallel sollte die Anmeldung bei einer Spezialklinik erfolgen, um lange Wartezeiten zu vermeiden, falls eine stationäre Therapie zu einem späteren Zeitpunkt notwendig wird.
Eine Gewichtszunahme kann auch, und besonders bei akuter körperlicher Gefährdung, in der internistischen Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses erreicht werden. Allerdings kann dies nicht die Psychotherapie ersetzen, die begleitend oder im Anschluss dringend stattfinden sollte.
In akut lebensbedrohlichen Fällen kann es auch notwendig sein, gegen den Willen der Betroffenen im Rahmen einer sogenannten „Zwangseinweisung“ und einer „Zwangsbehandlung“ eine künstliche Ernährung in einem psychiatrischen Krankenhaus einzuleiten. Künstliche Ernährung bedeutet, dass die Betroffenen z. B. durch eine Magensonde oder mit Infusionen ernährt werden. Diese Zwangsbehandlung ist notwendig bei Betroffenen, die sich trotz eines lebensbedrohlichen Zustands weigern, sich der notwendigen Behandlung mit Gewichtszunahme zu unterziehen. Die Zwangseinweisung kann durch den ärztlichen und psychologischen Behandler aber auch durch Angehörige angestoßen werden und muss durch einen Arzt des Gesundheitsamtes bestätigt werden. Innerhalb von 24 Stunden nach der Einweisung begutachtet ein Richter, ob die Zwangseinweisung in eine Psychiatrische Klinik rechtens war. Gesetzlich geregelt ist dieses Vorgehen durch das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG).
Die Entscheidung für eine Zwangseinweisung zu treffen fällt den Personen im Umfeld einer an Magersucht Erkrankten verständlicherweise sehr schwer. Es ist eine Entscheidung, die nicht leichtfertig getroffen werden sollte und aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Betroffenen auch nicht leichtfertig getroffen werden kann. Der Wille der Betroffenen wird in diesem Moment ganz deutlich missachtet, was die Beziehung zur Betroffenen massiv belasten kann. Andererseits stellt die Zwangseinweisung eine Alternative zum nahezu sicheren Tod der Erkrankten dar. Viele Betroffene, die eine Zwangseinweisung erlebt und den Ausweg aus ihrer Erkrankung fanden, sind danach sehr froh, diese Chance bekommen zu haben. Wieder andere, die auf anderem Weg aus der Erkrankung herausfinden, verklagen später die Behandler, die es unterlassen haben, mit diesem letzten Mittel zu helfen, wegen unterlassener Hilfeleistung. Angehörige und Behandler befinden sich also in einer extrem schwierigen „Zwickmühle“. Bitte bedenken Sie in dieser Situation, dass eine Betroffene, die aufgrund der extremen gedanklichen und emotionalen Einengung durch die Magersucht nicht mehr frei entscheiden kann, ein Recht darauf hat, durch fremde Hilfe, auch wenn sie in dem Moment ungewollt ist, aus einem lebensbedrohlichen Zustand, einer absoluten Einengung der Möglichkeiten wieder herauszufinden. In diesem Sinne haben die Betroffenen ein „Recht“ auf eine Zwangseinweisung.
3.4 Medikamentöse Behandlung
Es gibt kein wirksames Medikament, das die zentralen Symptome der Magersucht wie Angst vor Gewichtszunahme, verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers und übermäßige Bedeutung des Gewichts und der Figur für das Selbstwertgefühl direkt positiv beeinflusst.
Zwar wurde in einer neueren Untersuchung ein Hinweis darauf gefunden, dass möglicherweise das Antidepressivum Fluoxetin, ein Medikament, das gegen Depressionen hilft, im Anschluss an eine Behandlung mit erfolgreicher Gewichtszunahme dabei helfen kann, die Erfolge der Therapie länger aufrechtzuerhalten. Aber die pharmakologischen Studien zeigen keinen oder nur einen sehr schwachen positiven Einfluss auf die zentralen Symptome der Magersucht.
Trotzdem kann in der ambulanten und stationären Therapie manchmal eine Gabe von sogenannten Psychopharmaka, also Medikamenten, die auf die Psyche wirken, sinnvoll sein. Dies ist besonders der Fall, wenn zusätzliche psychische Erkrankungen wie z. B. Depressionen oder Zwänge vorhanden sind.
Bei depressiven Verstimmungen steht eine Vielzahl neuerer und altbewährter Medikamente, die sogenannten Antidepressiva, zur Verfügung. Je nach Ausformung der depressiven Symptomatik sind unterschiedliche Antidepressiva geeignet. Allerdings stellen depressive Verstimmungen bei Magersüchtigen oft eine Folge des ausgeprägten Untergewichts und der Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen dar. Oft hellt sich die Stimmung durch die Gewichtszunahme und die Normalisierung des
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