Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
fremdartiger noch als die der Elfen. Er entfaltete mir einem Knall die Flügel, bereit, einem Feind entgegenzutreten, den sie nicht sehen konnte.
Tzigone wollte die Quelle dieser Gefahr auf gar keinen Fall sehen. Sie riß sich brutaler zurück durch die Finsternis über ihr, als Matteo es getan hatte. Sie rang nach Luft und öffnete die Augen, während sie die Erinnerung – die Erinnerung, nicht ihre Erinnerung – an jenen Ort zurückdrängte, von dem vergessene Alpträume entflohen.
Doch das Bild stand ihr so deutlich vor Augen, wie es während der Erinnerungstrance der Fall gewesen war. Der Wald und das Wachtier hingen wie eine geisterhafte Vision in der Mitte des Raums. Die Farbe war fast so lebendig, wie Tzigone sie in ihrem Geist gesehen hatte, wurde aber rasch blasser. Sie konnte durch die Erinnerung hindurchsehen wie durch einen tiefhängenden Regenbogen, doch so schön sie auch zu sein schien, änderte das nichts daran, wie fürchterlich sie war.
Tzigone eilte fort von der schrecklichen Vision, kroch panisch rückwärts über den Boden, bis sie gegen die gegenüberliegende Wand prallte. Matteo zog sich auch zurück, doch er ging um die Vision herum und betrachtete gedankenvoll den geisterhaften Vogel.
Plötzlich zuckte eine riesige, klauenbewehrte Hand aus dem Nichts in das Bild und schoß auf den Vogelwächter zu, zu schnell, um ihr auszuweichen und zu mächtig, um sie aufzuhalten. Der Vogel explodierte in einem Ball aus Federn und Blut.
Und dann war das Bild plötzlich und gnädig verschwunden.
»Was für eine üble Zauberei war das?« fragte Matteo leise und sah Tzigone auf die gleiche entsetzte Weise an, wie sie den Traum angestarrt hatte. Offenbar konnte er Magie viel leichter ertragen als Magier.
»Das war nicht mein Werk«, sagte sie verzweifelt. »Nicht meine Magie, nicht einmal meine Erinnerung.«
»Das kann nicht deine Erinnerung gewesen sein, das ist wahr. Diese Greifen-Art ist seit fast dreihundert Jahren ausgestorben. Du kannst dich an nichts erinnern, was du nicht gesehen hast.«
Er sah sie nachdenklich an, dann fragte er mit mattem, aber nachdenklichem Tonfall: »Oder kannst du das? Ein Erkenntniszauberer kann in die Zukunft sehen. Ich habe noch nie von einem Magier gehört, der in die Vergangenheit blickt, und schon gar nicht von einem, der sie so lebendig abbilden kann. Aber vielleicht ist das möglich. Du bist eine Magierin, Tzigone, ganz gleich, welche Geschichten du mir erzählst.«
Zum ersten Mal hatte Tzigone keine Antwort auf Lager. Sie war zu erschüttert, um sich über so feinsinnige Unterscheidungen Gedanken zu machen, und stürmte zum Fenster. Ehe Matteo ein Wort sagen konnte, war sie in die Nacht entschwunden.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
D as Morgenrot war noch nur eine törichte Hoffnung, als sich die kleine Gruppe aus Kriegern in den Sumpf von Kilmaruu vorwagte. Andris watete voraus durch das knietiefe Wasser, während er vorsichtig einen Pfad für die Männer auskundschaftete, die sich lautlos hinter ihm hielten. Sie waren vierzig, einige Jordaini, einige Gewöhnliche, einige von fremdem Blut. Der Bluthündin zufolge war niemand von ihnen von Mystra berührt.
Jeder Mann trug einen Rucksack aus Haihaut, dazu einen kleineren Beutel, der seitlich am Gürtel befestigt war. Darin befanden sich eiserne Rationen, da Andris weder irgendwelcher Nahrung noch dem Wasser traute, das sie in Kilmaruu vielleicht finden würden. Im Gepäck führten die Männer auch eine sonderbare Sammlung an Waffen mit sich. Da Magie im Sumpf nicht zur Anwendung kommen konnte, hatte sich Andris auf natürliche Substanzen verlagert, die in bestimmten Kombinationen einen fast magischen Effekt erzielen konnten. Daneben trug jeder der Männer mehrere kleine Flaschen bei sich, die alle mit einem Korken dicht verschlossen und zusätzlich mit einer dünnen Wachsschicht überzogen worden waren.
Während Andris behutsam einen Schritt nach dem anderen machte, versuchte er, nicht darüber nachzudenken, was seinen Füßen da Halt bot. Vor vielen Jahren hatte hier ein schrecklicher Krieg getobt. Hunderte waren in einer Schlacht gefallen, die drei Tage und Vollmondnächte gedauert hatte. Es hieß, die Kämpfe hätten ganze Dörfer menschenleer zurückgelassen. Zwei Dörfer waren vom Sumpf geschluckt worden, deren Ruinen eine Zuflucht für die Untoten waren, die das Land heimsuchten. Selbst die ruhenden Toten von Kilmaruu waren sehr präsent. Die Knochen seit langem toter Krieger bildeten eine Art Gerüst, das dem
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