Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
war, würde sich den schlafenden Kreaturen nähern, ganz zu schweigen davon, sie anzufassen. Das machte den Ast zum sichersten Ort ganz Halruaas, vorausgesetzt, Tzigone brach auf, bevor das Geschöpf erwachte. Dieses Arrangement war ihr sehr angenehm, zumal sie schon oft mit einer Sternschlange das Lager geteilt hatte.
Die Flügel der Schlange raschelten, als hätte eine nächtliche Brise sie bewegt. Tzigone zog ihre Beine an und nahm die Haltung einer wachsamen Katze an, eine Hand auf dem Griff ihres Messers, die andere am Seil, an dem sie kräftig ruckte, um sicher zu sein, daß es gut festgemacht war. Manchmal wurden die Reptilien von der Freisetzung ihrer eigenen tödlichen Magie geweckt, vor allem, wenn sie hungrig waren. Der Ausbruch der Magie bescherte ihnen üblicherweise eine warme Mahlzeit.
Tzigone konnte nicht sagen, ob die Schlange schlief oder wach war, da ihre blauen Augen immer offen waren. Plötzlich drehte die Schlange den Kopf, was sie auf eine absurde Weise nach einer Person aussehen ließ, die eben etwas Überraschendes entdeckt hatte. Die vertikalen Pupillen der himmelblauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und einen Moment lang sah die Sternschlange Tzigone mürrisch an.
»Du hast uns berührt. Warum lebst du?« flüsterte sie.
Tzigone zuckte die Achseln. »Es ist zur Angewohnheit geworden.«
»Einer lästigen«, gab die Schlange zurück. »Wir können dir helfen, mit ihr zu brechen.«
Die Attacke war ein plötzliches Wirrwarr aus Flügeln, Fangzähnen und Strängen aus Mondstein. Tzigone tauchte zur Seite weg, hinunter vom Ast und fort vor der nach ihr schnappenden Kreatur. Während sie fiel, holte sie mit dem Messer aus. Die Klinge schnitt durch einen der wunderschönen Flügel und trennte ihn fast ab. Tzigone wollte kein Risiko eingehen und griff nach dem Geschöpf. Ein heftiger Ruck genügte, um es vom Ast zu reißen. Als sie zum Stillstand kam, ließ Tzigone den Flügel los. Das Aufheulen der Sternschlange hallte in der Baumkrone nach, während die Kreatur ins Grün unter ihnen stürzte.
Tzigone schaukelte leicht, während sie auf das Geräusch lauschte, das der Aufprall der Schlange verursachte. Schließlich steckte sie das Messer weg, packte das Seil mit beiden Händen und kletterte nach oben, bis sie ein Bein über den Ast schieben und sich setzen konnte. Rasch löste sie das Seil, wickelte es auf und befestigte es am Gürtel. Ein Blick zum Mond verriet ihr die Zeit. Selune war halb voll und damit am Tag zu sehen, wenn sie wie ein einzelnes Auge unter einem schweren, halb geschlossenen Lid auf die Stadt zu blicken schien. In einer halben Stunde würde sie hinter den Turmspitzen der Augurenschule verschwinden. Tzigone hatte sich weit oben in der Baumkrone einen Ruheplatz gesucht, und sie ging davon aus, daß sie diese halbe Stunde brauchen würde, um vom Baum nach unten zu klettern. Während des Abstiegs schloß sie leise wispernd eine Wette mit der Mondin ab.
Sie war schneller als Selune und sah kurz schelmisch grinsend zur Schule der Magier, dann wandte sie sich ihrer Beute zu.
Die Schlangenhaut war kostbar und würde sie viele Tage lang mit Geld versorgen. Das Fleisch war bitter und ungenießbar, trotzdem schnitt sie ein Stück heraus. Die Sternschlange hatte sie fressen wollen, da hielt Tzigone es nur für gerecht, sich bei ihr auf die gleiche Weise zu revanchieren.
Eine Stunde später verließ sie durch den Hintereingang eine kleine Apotheke. Der Mann besaß nur wenig Talent für Zaubertränke und Verwandlungen, und seine Kunden waren im allgemeinen recht gewöhnliche Leute: Kaufleute, Bauern, Söldner, Bergarbeiter und dergleichen. Tzigone verkaufte ihm von Zeit zu Zeit seltsame Dinge, Zauberzutaten, die er gern nahm, ohne fragen zu stellen.
Sie ging durch die Seitenstraßen, die sie sich als Kind eingeprägt hatte und in denen völlige Ruhe herrschte, vom erfreulichen Klimpern der glänzenden halruaanischen Skie in ihrem Beutel abgesehen. Die Schlangenhaut hatte ihr ein Dutzend Portraits von König Zalathorm eingebracht, die auf jede Münze aus Elektrum geprägt waren.
»Tzigone, du bist ein Bastard, aber wenigstens ein reicher«, sagte sie leise.
Sie nickte. Das Geräusch gefiel ihr. Das Klimpern der Münzen war ein angenehmer Kontrast zum Klang des Namens, den sie für sich ausgesucht hatte. Sie mochte den Klang des Wortes. »T-Sig-o-nee«, wiederholte sie und betonte jede Silbe einzeln. Wieder nickte sie.
Es war eine Verballhornung des Wortes
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