Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
»Zigeuner«, das aus irgendeiner sonderbaren Sprache des Nordens kam. Es hatte ihr gefallen, als sie es vor einigen Monaten zum ersten Mal gehört hatte, und sie hatte sich es sich zu eigen gemacht. Ihr jüngster Name beschrieb, was sie war, wenn auch nicht, wer sie war.
Für den Augenblick und noch für eine Weile würde das genügen müssen.
VIERTES KAPITEL
Ü ber dem Übungsplatz der Jordaini hing die Stille wie ein Sumpfnebel. Die Wasseruhr in der Bibliothek schlug die Stunde, aber niemand machte sich die Mühe, die Zahl der Schläge zu zählen, und niemand eilte für die nächste Unterrichtsstunde ins Gebäude. Niemand sprach. Niemand rührte sich.
»Nein!«
Es platzte aus Themo heraus wie das Aufheulen eines verwundeten Panthers. Der große Jordain schob sich durch die Reihe der Männer, um zwischen die Bluthündin und seinen verurteilten Freund zu treten.
»Das muß ein Irrtum sein!« brachte er vor. »Es kann nicht anders sein! Andris ist der Beste von uns. Ich werde diesen Disput vor den Rat bringen, wie es mein Recht ist.«
»Ein Disput?« Kiva wirkte eher amüsiert als vor den Kopf gestoßen. »In solchen Angelegenheiten ist das Wort einer Bluthündin endgültig. Es gibt keine Berufung und keine Disputation. Aber da du mit einer Leidenschaft sprichst, die für die Jordaini untypisch und damit erfrischend ist, bin ich bereit, dir zuzuhören.«
Sie wandte sich von Themo ab und betrachtete die mit einem Mal hoffnungsvollen Gesichter der Freunde Andris’. »Hat einer von euch gesehen, wie dieser Mann Magie anwendete? Ihr dürft es ruhig sagen.«
Ein lauter Chor aus Verneinungen ging durch die Reihe, in den meisten Fällen von einer Bemerkung begleitet, die ein Jordain benutzte, um zu unterstreichen, daß seine Worte weder Satire noch Parabel waren, sondern die Wahrheit.
Kiva sah sich gelangweilt um, war aber entschlossen, ihren »fliehten nachzukommen. »Vielleicht verfügt er über ungewöhnliche Fähigkeiten? Oder vielleicht bewerkstelligt er Dinge, die sich ohne Magie schwer erklären lassen?«
»Er ist in Kampfstrategien sehr geschickt, Herrin«, sagte Vishna. »Ungewöhnlich geschickt. Aber dahinter steckt nur der Einsatz eines disziplinierten Geistes, der natürliche Begabungen fördert.«
»Noch ein Sprichwort«, bemerkte Kiva trocken. »Müßt ihr Jordaini immer in Floskeln und Formeln sprechen? Das ist ermüdend.«
»Die Wahrheit ist selten so interessant wie eine Lüge«, murmelte Matteo.
Kiva wirbelte herum. Ihr Gesicht war von Unglauben geprägt. Matteo erkannte, welchen Fehler er begangen hatte. Wenn die Elfe glaubte, er unterstelle ihr, nicht die Wahrheit zu sagen, dann war sein Leben verwirkt.
Aber nach einem Augenblick lächelte Kiva und nickte. »Ich stimme dir zu. Im Gegensatz zur Wahrheit müssen Lügen Sinn ergeben. Sie erfordern eine innere Logik und eine Detailfülle, die die Wahrheit in ihrer unschuldigen Arroganz nicht immer erreicht. Verstehst du, Jordain?«
Matteo antwortete so, wie er es immer tat: ehrlich. »Nicht ganz, Herrin.«
Sie hob erstaunt die jadefarbenen Brauen. »Ah! Hier haben wir ein seltenes Exemplar – einen Mann, der zugibt, etwas nicht zu wissen, statt ein falsches Wort zu sagen. Du machst deiner Art Ehre, Jordain.«
Ihr Tonfall war lobend, doch Matteo sah am Funkeln ihrer Augen, daß sie sich über ihn lustig machte. Verwirrt antwortete er: »Ich danke Euch für Eure Worte , Herrin.« Mit der unterschwelligen Betonung nahm er das Sticheln in ihrem Kompliment zur Kenntnis.
Die Bluthündin wirkte fasziniert. »Du sprichst gut – für einen Mann, dessen Verstand von Sprichwörtern und Platitüden beengt wird. Vielleicht möchtest du mir etwas über deinen jordainischen Freund erzählen. Was hat er an sich, daß der Kristall zu singen beginnt?«
»Ich weiß nichts über den Kristall und dessen Eigenschaften, Herrin, daher kann ich die Frage nicht beantworten.«
»Das ist eine gute Antwort«, sagte sie anerkennend. »Du weißt nichts über den Kristall. Gut. Aber du weißt etwas über diesen Mann und seinen Charakter?«
Matteo zögerte, dann nickte er.
»Und du kennst ihn gut?« bohrte sie nach.
Er sah zu Andris, dessen Gesicht ihm vertrauter war als sein eigenes. »So gut, wie ein Bruder einen anderen kennt«, sagte er leise.
»Du hast nie etwas Ungewöhnliches an ihm bemerkt? Keine Handlung, die über die Fähigkeiten eines magisch toten Beraters hinausging?«
Die Diskussion über das Kilmaruu-Paradox vom Morgen kam ihm sehr ungelegen in
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