Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
den Sinn. Rasch verdrängte er den Gedanken, aber in seinen Augen mußte etwas davon zu sehen gewesen sein.
Kiva lächelte. »Da ist also etwas. Sag es.«
Matteo warf dem Freund einen ängstlichen Blick zu. »Du bist verpflichtet, die Wahrheit zu sagen«, meinte Andris leise. »Ich möchte nicht, daß du etwas anderes macht, ganz gleich, welche Folgen es haben mag.«
»Andris ist in der Tat ausgezeichnet auf dem Gebiet der Kampfstrategie«, begann Matteo zögernd. »Er hat sich ihrem Studium intensiver gewidmet als jeder andere. Er hat einen einzigartigen Verstand und kann über die Einzelheiten der Geschichte hinausblicken und dabei erkennen, was hätte sein können und was erst noch werden könnte. Wie ein meisterlicher Weber nimmt er die Fäden und läßt aus ihnen neuen Stoff entstehen.«
»Sehr poetisch«, sagte Kiva kühl. »Vorbemerkung zur Kenntnis genommen. Nun zur Sache.«
»Heute Morgen hat mir Andris offenbart, er habe das Kilmaruu-Paradox gelöst.«
Die anderen Jordaini gaben Laute des Erstaunens von sich. Die Soldaten, die die Bluthündin begleitet hatten, machten einen entsetzen Eindruck, und selbst die Meister tauschten ungläubige Blicke aus. Matteo bemerkte, daß alle Meister über diese Neuigkeit überrascht zu sein schienen. Warum war dem so, wenn Andris angedeutet hatte, daß er sich mindestens einem von ihnen anvertraut hatte.
Doch darüber konnte Matteo jetzt nicht nachdenken. Kiva trat näher an ihn heran. Ihr Gesicht war bedrohlich.
»Weißt du, wie viele Magier es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, dieses Rätsel zu lösen?« fragte sie mit leiser, wütender Stimme. »Wie viele in den Sümpfen starben? Niemand außer einem Magier oder einem Narren würde es wagen, so etwas zu versuchen! Sag, Jordain, ist dein Freund ein Narr?«
Matteo erkannte die Falle. Zum ersten Mal in seinem Leben bedauerte er die Eide, die ihn zwangen, die Wahrheit zu sagen. »Nein«, sagte er leise.
»Dann sieht es so aus, als sei er ein Magier.« Kiva wandte sich Mbatu zu. »Andris ist ein falscher Jordain und damit eine Gefahr für seine Art. Erledige das.«
Die Kreatur kauerte sich zusammen und klopfte mit den Hinterläufen auf den Boden. Ehe Matteo Luft schnappen konnte, war der große Katzenmann bereits gesprungen. Das rauhe Fell des Löwenkörpers scheuerte über Matteos Arm, als der Wemic an ihm vorbeischoß. Matteo kniff die Augen fest zu und versuchte, die ungewohnte Feuchtigkeit zu verdrängen, die sich in ihnen sammelte.
Aber die Dunkelheit konnte nicht die Geräusche von ihm fernhalten – den schrecklichen Aufprall, als Andris unter dem Gewicht des massigen Wemic auf dem Boden aufschlug, und das kurze, durchdringende Knacken von Knochen, die zermalmt wurden. Matteo erkannte das Geräusch, das entstand, wenn ein Genick bricht, und richtete ein stummes Lebewohl an den Freund. Er sah hoffnungslos schweigend zu, wie der Wemic Andris’ schlaffen Körper mit seinen menschlichen Armen hochhob und sich über die Schulter legte.
Kiva wandte sich den Meistern zu, die so sprachlos und ungläubig dastanden wie die Studenten. »Es wird heute keine weiteren Prüfungen geben. Nach den langen Gesichtern zu urteilen, wäre es vergeudete Zeit. Ich komme wieder, wenn eure Studenten in Höchstform sind.«
Die Bluthündin drehte sich auf dem Absatz um und ging, gefolgt vom Wemic mit seiner unheilvollen Last und schließlich auch von ihrer Wache.
Als sich die Hufschläge ihrer Pferde in der Ferne verloren, sah der Schulleiter seine Studenten traurig an. Der Magier schluckte mehrmals, ehe er etwas sagen konnte. »Die Flut wird gegen Mitternacht am höchsten sein, und viele Schiffe werden heute von den Docks von Khaerbaal ablegen. In der Stadt wird viel Ausgelassenheit herrschen, und die Tavernen werden miteinander darum wetteifern, die Seeleute anzulocken. Bier und Wein werden während der nächsten Monde nicht mehr so billig sein. Da Wirtschaftlichkeit eine jordainische Tugend ist, rate ich euch allen, euch dort unters Volk zu mischen«, sagte er mit gespielter Leichtigkeit.
Niemand sprach ein Wort, niemand regte sich von der Stelle. Mit lautem Seufzen gab der Magier seine Bemühungen auf. »Pferde und Münzen werden jedem zur Verfügung stehen, der sie wünscht«, sagte er eine Spur leiser und deutlich bestürzter. »Geht, ihr habt Mystras und meinen Segen. Kauft euch ein paar Stunden des Vergessens.«
Viele Studenten zogen sich zurück, aber keiner so schnell wie Themo. Matteo bemerkte die Tränen, die
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