Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
begleitet.
Dieser unauffällige Mann wirkte nicht wie der Herr über einen Turm, doch er hielt seine Hände so, wie es ein Magier, der einen anderen begrüßte, traditionell tat.
Das war also Dhamari Exchelsor, jenes Monster, das sie ihr Leben lang nur als den »Mann ihrer Mutter« gekannt hatte. Ehe sie ein Wort sagen konnte, erstarrte der Magier in seiner Bewegung und blickte sie nur an. Rasch erlangte er die Fassung wieder und nickte auf die Weise, die einem Magier von geringerer Erfahrung, aber höherem Rang als Gruß galt.
Tzigone wußte nicht, was sie mehr beeindruckte: daß Exchelsor sie offenbar als Keturahs Tochter ansah oder daß er nicht sofort auf diesen Punkt zu sprechen kam. Eine überschwengliche Begrüßung, jegliche Form eines Anspruchs auf sie – und sie hätte längst einen Spurt in sichere Entfernung gestartet. Tzigone hatte von Keturah gelernt, auf der Hut zu sein. Vielleicht verstand dieser Mann Keturah gut genug, um dieser Begegnung einen echten Wert beizumessen.
Sie holte Keturahs Talisman aus der Tasche und hielt ihn hoch.
Dhamari betrachtete lange Zeit schweigend das Medaillon. Als er sich wieder Tzigone zuwandte, war sein Blick sanft.
»Komm in den Garten, mein Kind. Ich bin sicher, du hast viele Fragen.«
Sie folgte ihm über duftende Pfade und hörte zu, wie er über die Verwendungsmöglichkeiten der einen oder anderen Pflanze sprach. Er schien sich in der Kräuterkunde bestens auszukennen, war aber entgegenkommend genug, ihr Zeit zu geben, damit sie sich an seine Gegenwart gewöhnen konnte. Tzigone war beeindruckt, aber zurückhaltend.
»Ich bin bereit zu reden«, erklärte sie plötzlich.
»Dann werden wir reden.« Er wies auf eine Bank in einem kleinen Alkoven und setzte sich dann zu ihr. »Frag, was du fragen willst.«
»Keturah verließ die Stadt am gleichen Tag, an dem eine Grünmaga von Sternschlangen gefressen wurde.«
Exchelsor nickte traurig. »Ja.«
»Glaubst du, sie hat es getan? Die Sternschlangen gerufen?«
»Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht.«
Tzigone kniff die Augen zusammen. »Hast du dich der Suche nach ihr angeschlossen?«
Exchelsor zögerte. »Du mußt wissen, daß ich mein Leben in deine Hände lege, wenn ich dir ehrlich antworte. Wenn du böse Absichten gegen mich hegst, könntest du gegen mich benutzen, was ich dir sagen werde. Ja, ich habe Keturah gesucht«, fuhr er ohne Unterbrechung fort und gab sich so keine Chance, ihre Reaktion abzuwarten und so zu erfahren, ob seine Sicherheit auf dem Spiel stand oder nicht. »Ich habe Waldläufer ausgeschickt, um die Wildnis zu durchkämmen, Erkenntniszauberer haben Zauber gewirkt, und die Auguren haben aus dem Flug der Vögel gelesen. Hundert vertrauenswürdige Händler brachten Kunde in alle Teile des Landes, daß eine Belohnung ausgesetzt war, damit Keturah zu mir zurückkehrte. Aber ich handelte nur aus Liebe zu ihr. Hätte ich sie gefunden, dann hätte ich ausschließlich dafür gesorgt, daß sie sicher aus Halruaa herausgebracht und so gut gepflegt würde, wie es das Exchelsor-Vermögen möglich gemacht hätte.«
»Gepflegt?« wiederholte Tzigone. »Sie war krank?«
»Sie trug ein Jordain-Kind«, räumte er ohne Umschweife ein. »Zu diesem Zweck waren wir zusammengebracht worden, aber Keturah war ohnehin keine Frau, die irgend etwas dem Zufall überließ. Sie nahm Tränke, um sicherzustellen, daß ihr Kind der mächtigste aller Jordaini wurde.«
Tzigones Herz raste so, daß es schmerzte. Sollte sie eine fehlgeschlagene Jordainin sein? Warum nicht? Sie war Taschendiebin, Gauklerin, Behir-Hüterin und hatte ein halbes Hundert anderer kurioser Tätigkeiten ausgeübt. Trotz ihres noch jungen Lebens gab es kaum noch Neuland zu entdecken.
Alles ergab auf schreckliche Weise Sinn. Ihre Immunität gegen Magie, ihr schneller Verstand, ihre flinke Zunge. Anders als ein echter Jordain besaß sie aber die Gabe der Magie. Das Ergebnis war eine potentielle Magierin, die Magie wirken konnte und doch fast nicht auf Gegenzauber ansprach. Kein Wunder, daß man einen Magierbastard als gefährlich einstufte!
»Das wirkte sich auf ihre magischen Kräfte aus und raubte ihr das Gedächtnis«, fuhr Dhamari fort. »Ich flehte sie an aufzuhören, aber sie war fest entschlossen. Keturah war eine sehr starrköpfige Frau.«
Ja, auch das ergab Sinn. Tzigones letzte Erinnerung an ihre Mutter betraf ihre schwindende, unzuverlässige Magie. Die Tränke, die man der werdenden Mutter eines Jordain verabreichte, bewirkten das,
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