Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
das Praktizieren gefährlicher Magie in Versuchung geführt worden sein.
»Es ist möglich«, sagte sie zu seiner Überraschung.
»Du wirst Dhamari aufsuchen?«
»Warum sollte dieser Magier oder sonst jemand sich um mich sorgen?«
Matteo zögerte und wünschte, er könnte ihr von Basels Schwur berichten, sich zu ihrem Vater zu erklären. Doch damit hätte er das Vertrauen des Magiers gebrochen und dem entgegengearbeitet, was Basel zu erreichen wünschte. Tzigone würde ein so kostbares Geschenk nie annehmen.
Er wischte ihr eine Träne weg. »Angesichts der Möglichkeiten, die du hast, würde ich sagen, du solltest zu Dhamari gehen und dir sein Angebot gründlich überlegen.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
Sie unterhielten sich kurz über die mechanischen Kreaturen und Matteos Reiseziel. Als sie aufstanden, hob sie eine Hand, um eine kurze, elegante Abschiedsgeste zu beschreiben – die Geste eines Magiers, so üblich wie Regen im Sommer. Dann drehte sie sich um und verschwand so rasch wie die Diebin, die sie einst gewesen war.
Dieses kleine, vertraute Ritual brachte Matteo in die Wirklichkeit zurück. Erstmals verstand er, daß die Ausbildung, die Tzigone erfuhr, keine Laune war, sondern ein wahrer Weg. Sie war die Tochter von Magiern, sie hatte Magierblut.
Das, was er war – ein Jordain, der an Sprichwörter und Verbote gebunden war –, hinderte ihn daran, ihr dorthin zu folgen, wohin sie ging.
SIEBZEHNTES KAPITEL
T sigone begab sich in aller Eile zu Basels Turm, ohne auf den jungen Mann zu achten, der ihr mit hellen Augen nachsah. Sie hatte viel zu erledigen, und die Zeit war knapp. Der Ältestenrat traf sich an diesem Abend, und Procopio Septus würde gewiß anwesend sein. Das war die beste Gelegenheit, um in seine Villa zurückzukehren. Der Erkenntniszauberer war wahrhaft mächtig, und auch wenn sie gegen Magie fast völlig unempfindlich war, gefiel ihr der Gedanke nicht, sich in seiner Gegenwart aufzuhalten.
Sie überlegte, ob sie Sinestra kontaktieren sollte, verwarf die Idee aber rasch. Sie wollte mit der Frau nichts mehr zu tun haben. »Ich nehme an, es könnte möglich sein« , murmelte Tzigone und wiederholte Sinestras Worte, mit denen sie die Frage beantwortet hatte, ob sie ihre Mutter sei. Möglich sein! Was in aller neun verdammten Höllen Namen sollte das nun wieder bedeuten?
Sinestra war nicht ihre Mutter. Ihre Mutter war tot. Das war fast einfacher zu verstehen als die Antwort dieser Frau.
Tzigone verbannte Sinestra aus ihren Gedanken. Sie zog Kleidung an, die die Farbe von Schatten hatte, dann kletterte sie über die Mauer, die an einen öffentlichen Park grenzte. Vor dort aus mußte sie nur noch auf einen Bilboabaum klettern und sich durch die Baumwipfel bis zum Heim Procopio Septus’ bewegen. Sie entdeckte eine Sitzgelegenheit mit einer wunderbaren Aussicht und ließ sich nieder, um sie zu genießen und abzuwarten.
Als die Nacht hereinbrach und Procopio sein Landhaus verließ, stieg sie durch die Küche ein und begab sich in sein privates Arbeitszimmer. Sie fand den Band mit dem Titel Erlasse des Königs , der aus dem Jahr vor ihrer Geburt stammen mußte.
Darin las sie die Wahrheit über Exchelsors Behauptung. Keturah wurde des Mordes an Whendura angeklagt, einer Grünmaga aus Halarahh. Der Mord sollte mit Hilfe von Magie bewerkstelligt worden sein. Sie war noch am selben Tag aus der Stadt geflohen, anstatt sich der magischen Befragung zu unterziehen, die ihren Namen hätte reinwaschen können, sofern sie unschuldig war. Nach den Gesetzen Halruaas wurde die Flucht mit einem Schuldeingeständnis gleichgesetzt.
Tzigone schloß mit zitternden Händen das Buch. Nach den Gesetzen Halruaas war ihre Mutter eine Mörderin. Dieses Wissen genügte schon, um Tzigones Verlangen zu schüren, die ganze Wahrheit in Erfahrung zu bringen. Nach den Gesetzen Halruaas hatte sie selbst ebenfalls keine völlig weiße Weste. Es gab da einen größeren Zusammenhang, und wenn sie sich nicht sehr irrte, dann war Kiva die Verbindung zwischen Tzigones Vergangenheit und Ereignissen, die noch nicht abgeschlossen waren.
Sie fand die jüngste Ausgabe der Erlasse des Königs , außerdem einen ausgesprochen dicken Band, der Meister Procopios aktuelle Aufzeichnungen aus dem Stadtrat enthielt. Im Schneidersitz setzte sie sich unter einen Tisch und begann zu lesen.
Es schien überall Probleme zu geben. Die Zunahme der Piraterie war absehbar, da für die Jahreszeit typisch. Die Seeräuber wollten soviel Beute
Weitere Kostenlose Bücher