Ratgeber & Regenten 03 - Der Krieg der Magier
Irgendwie war es Dhamari gelungen, es ihr zu stehlen.
Tzigone riß ihm den kostbaren Anhänger aus der Hand. Dhamaris Leib zuckte, sein Mund verzog sich zu einem Ausdruck der Pein.
»Das hat meine Mutter vor dir und deinesgleichen beschützt«, murmelte Tzigone und begriff, was den Magier quälte. »Wenn du es hast, schützt es dich vor dir selbst, und das ist wahrscheinlich der einzige Grund, warum du überhaupt so lange überlebt hast.«
Daneben stellte das Medaillon für Tzigone einen Schlüssel zur Vergangenheit und den Antworten dar, die dort verborgen sein mochten. Alles, was sie durch ihre sich entfaltenden Kräfte erfuhr, war ehrlicher als alles, was Dhamari Exchelsor ihr sagen würde.
Nur für eine Weile, entschied Tzigone und umschloß den Talisman ihrer Mutter. Mit Hilfe der Gedächtnisübung, die sie von Matteo gelernt hatte, sank sie tief in die Vergangenheit.
* * *
Halarahh lag unter einer Nebeldecke im Tiefschlaf und nahm keine Notiz von der jungen Frau, die über die dicken steinernen Stadtmauern lief. Sie war geschwind, mit schlanken, braunen Gliedmaßen und einem mühelosen Gang, der an ein junges Reh erinnerte. Die Wachmagier, die die Wache vor Sonnenaufgang hatten, nickten ihr respektvoll zu, als sie sie passierte. Sie war zierlich, leichtfüßig und schnell wie eine Tänzerin, mit vollem, glänzend braunem Haar und großen, dunklen Augen, die von Lachen, Geheimnissen und Magie erfüllt waren ...
* * *
Tzigone wurde ruckartig wach. Das war ihre Mutter! Noch nie hatte Tzigone sie so lebhaft gesehen! Rasch verdrängte sie die Erscheinung und kehrte zurück, drang tiefer vor und bewegte sich durch die nebelgetrübten Bilder, bis sie in Keturahs eigene Perspektive gelangt war. Ganz am Rande ihres Verstandes war Tzigone klar, daß sie zu Keturah geworden war. Ihre Hand umklammerte noch fester den kostbaren Talisman, dann gab sie sich ganz der Vision hin.
* * *
Tzigone/Keturah stützte die Ellbogen auf die Mauer und begann, ein Lied zu summen, während sie zufrieden über die Stadt blickte, die das Herz ihres geliebten Landes und die Heimat des zurückgezogenen Königs Zalathorm bildete. Von ihrem Standpunkt aus hatte Keturah einen Blick, um den sie ein Falke beneidet hätte.
Die Sonne stieg über die höchsten Gipfel der Berge im Osten und tauchte die dunklen Wolken der Nacht in silbriges Rosa. Im Süden, weit draußen auf dem offenen Meer, grollten dicke graue Unwetterwolken wie Titanen, die sich zu früh aus dem Bett erhoben hatten. Die Stadt erwachte schnell zum Leben und stellte sich dem kommenden Tag. Karren und Pferde waren auf dem Weg zum Markt. Nach Jasmin duftender Frühnebel stieg aus den öffentlichen Parks auf, und mit ihm erhob sich der fröhliche Gesang junger Stimmen, als singende Mädchen Tau sammelten, das für Schönheits- und Liebestränke benötigt wurde. Der rasche Takt ihres Gesangs trieb zur Eile an, da selbst jetzt, in der kühlsten Jahreszeit, sich die Wärme der Sonne rasch entfaltete.
Keturah sah zu, wie die Geschöpfe, die die Sonne liebten, mit Tagesanbruch erwachten. Geflügelte Schlangen, die wie Seile aus Edelsteinen glitzerten, schwangen sich in die Lüfte. Orangefarbene und gelbe Echsen kletterten an Wänden empor, an denen sie mit ihren klebrigen Fußballen Halt fanden. Aus dem Sumpf jenseits der Stadtmauer erscholl ein Gebrüll, das von einem Krokodilbullen stammen mochte. Aus den Gärten, die im Schatten der großen Mauer blühten, ertönte ein Antwortruf.
Keturah legte besorgt die Stirn in Falten. Sie lief über eine Treppe, die zur Innenseite der Mauer und weiter in den öffentlichen Park führte. Am Rand eines Teichs blieb sie stehen und begann, mit klarer, volltönender Altstimme zu singen – eine Stimme, die liebreizend klang, aber von der Verlockung der Magie erfüllt war.
Als Reaktion darauf tauchte das lange Maul eines Reptils aus dem Wasser auf. Goldene Augen mit obsidianfarbenen Pupillen erfaßten Keturah. Augenblicke später kam die Kreatur ans Ufer und entpuppte sich als Behir, ein Tier, das furchteinflößender war als ein Krokodil, aber kleiner als ein Drache. Vier Beinpaare säumten den langen, schlangenartigen Leib, der mit kobaltblauen Schuppen überzogen war. Der Hals war lang und elegant, und aus dem schmalen, spitz zulaufenden Kopf ragten dünne, nach hinten gebogene Hörner.
Behire waren in der Stadt so kostbar wie Schweine, doch statt zur Gewinnung von Speck, Schinken und Würsten wurden die exotischen Reptilien um magischer
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